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Geschichtliche Aspekte

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  1. Lexikographie: Theoretische Aspekte

Phraseologie ist zwar ein universal-sprachliches Phänomen, doch spielt sie in

der Geschichte der Sprache, und das heißt: in den Texten, die uns überliefert sind,

eine quantitativ und qualitativ unterschiedliche Rolle. Es gibt Phasen, in denen

bestimmte phraseologische Klassen besonders produktiv sind und andere weniger;

auch die Funktionen, Veiwendungsweisen und Bewertungen von Phraseologie

können von Epoche zu Epoche variieren, wie wir am Heispiel der Sprichwörter

gesehen haben. Gründe für diese Unterschiede können in kulturellen Außeneinflüssen

liegen, z. B. der Adaptation der Bibelsprache seil dem Althochdeutschen, dem

Einfluß des Lateinischen in der Zeit des Humanismus, aber auch in kulturintcrnen

Prozessen, z. B. der industriellen Revolution mit ihren Erfindungen, die sich bald als

Mctaphernspender in der Alltagssprache auswirkten (z. B. die Dampfmaschine oder

das Auto), die Entstehung der modernen Sportarten (man denke an die Metaphorik

des Fußballs in der All-tagssprachc). Daß sich das gebildete (und halbgebildete)

Bürgertum im 19. Jahrhundert mit Geflügelten Worten vorzugsweise aus der

klassischen deutschen Literatur zu schmücken pflegte, hat sozialgeschichtliche

Ursachen (vgl. Frühwald 1990; Linke 1996). Die „Sprüche" der heutigen

Jugendlichen lassen sich ebenfalls auf dem sozialen Hintergrund dessen, was heute

„Jugend" ist, verstehen (vgl. Henne 1986 und viele spätere Arbeiten zur

Jugendsprache).

10.2 Motive für die Frage nach der Historizität

Die Historizität der Phraseologie wird im alltäglichen Umgang mit Sprache vor

allem in drei Typen von Situationen zum Thema:

1) Jemand trifft in der heutigen Sprache Ausdrücke an. die er noch nie gehört

oder gelesen hat - wie es einem Älteren mit Jugendlichen passieren kann -oder es

begegnen ihm in der Sprache von sehr alten Leuten Phraseologismcn, die er zwar

noch versteht, die ihm aber altmodisch vorkommen und die er nicht mehr selber

benutzen würde.

Das wird zu jeder Zeit so gewesen sein, in mehr oder minderem Ausmaß. Doch

deutet vieles daraufhin, daß sich in unserer Zeit eine epochale Umschichtung des

phraseologischen Materials vollzieht. Durch die Medien findet einerseits die

..klassische" Phraseologie massenhafte Verbreitung wie nie zuvor, andererseits aber

werden durch die Medien, insbesondere im Bouleyardbercieh und im privaten

Fernsehen, Schichten der Phraseologie in den Vordergrund gerückt. die bislang als

umgangssprachlich, nicht füi öffentliche Texte geeignet erachtet und in den

Wörterbüchern auch so markiert wurden (Beispiele aus einer beliebigen RTLNachrichtensendung:

das ist der absolute Hammer, außer Spesen nichts genesen).

Damit vollzieht sich eine konnotative Umwertung, durch die der Alterungsprozeß der

einstmals neutralen Phraseologie beschleunigt werden dürfte. In einer empirischen

Untersuchung" zeigte sich beiden Jüngeren eine deutliche Reserve gegenüber der

konventionellen Phraseologie, z. T. auch eine überraschende Unkenntnis von

Ausdrücken, die man tagtäglich in der Presse vorfindet. Eine große Diskrepanz

besteht zwischen der (passiven) Kenntnis der untersuchten Phraseologismen und der

Einschätzung, die die Versuchspersonen bezüglich ihrer eigenen Verwendung der

Ausdrücke vornehmen. Viele Ausdrücke, die sie kennen, verwenden sie selber nicht.

Aufgefordert, ihre Dislan-ziertheit zu begründen, geben sie am häufigsten zwei

Typpn von Antworten: (1) eine diachron ausgerichtete stilistische Kritik (mit

Wertungen wie..zu all-modisch", „zu antiquiert", „zu traditionell", „unzeitgemäß".

..veraltet", „alte Sprache") und (2) eine Kritik an den Ausgangsbereichen der

Metaphorik (vgl. 4.1.) bzw. der jesveiligen Lesart, die sie für die semantische Basis

der Idiome halten. Komponenten, die auf einen ländlich-bäuerlicji-handwcrkiichen

Ausgangsbereich, auf den religiösen Bereich, abeFauch aiil die Bereiche der Jagd und

der gewaltsamen Auseinandersetzung hindeuten; diskreditieren die betreffenden

Idiome. Besonders davon betroffen sind Phraseologismen mit traditionell orientierten

Ausgangsbereiehen wie seinen Seiten 'zu ctw. geben, sich bis aufs Hemd ausziehen,

das Kriegsbeil begraben, alle's Vlber einen Leisten schlagen, einen Bock schießen.

Die Versuchspersonen. dic\licse Wendungen nicht selber gebrauchen, begründen dies

mit Formulierungen wie „bin kein Bauer", „hört man in der Kirche" (beides zu jitulin.

seincii Segen zu ctw. geben). Zu einen Bock schießen wird gesagt: „bin kein Jäger,",

..Jägermilieu isl mir nicht so vertraut".

2) Jemand interessiert sich aulgrund der..Merkwürdigkeit"; der „Bildlichkeit"

o. ä. eines Phraseologisnms für dessen Herkunft (..Etymologie"). Das kann in

schulischen oder journalistischen oder auch ganz individuellen Zusammenhängen der

Fall sein. Man weiß, was der Ausdruck heutzutage bedeutet, wozu man ihn

normalerweise verwendet, aber man fragt sich, warum gerade dieser Ausdruck für

gerade diesen Zweck verwendet wird. Linguistisch betrachtet, heißt das, daß man ein

und dasselbe sprachliche Zeichen, also beispielsweise auch ein komplexes Zeichen

wie einen Phraseologismus, unter synchroner (auf die jeweilige Gegenwart

bezogener) und diachroner (auf seinen Platz in der geschichtlichen Entwicklung

bezogener) Perspektive bell achten kann.

Etwas auf dem Kerbholz haben heißl heute 'etwas Unrechtes, eine Straftat

begangen haben, sich etwas zuschulden kommen lassen haben' (Duden 11). Im

Hinblick auf das heutige Deutsch ist dies also der synchrone Aspekt. Den diachronen

Aspekt im allgemeinen spricht Duden 11 in der Einleitung so an: „Feste Wendungen

wecken häufig den Wunsch nach Erklärung ihrer sprachge-schichllichcn Entstehung:

wo eine solche Erklärung sinnvoll und nach dem Stand der Forschung möglich ist,

schließt sie die Darstellung der festen Wendung ab." (S. 17) So heißl es dann konkret

zu der obigen Redensart: „Die Wendung bezieht sich auf das bis ins 18. Jh.

verwendete Kerbholz, das dazu diente, Warenlieferungen, Arbeitsleistungen und

Schulden aufzuzeichnen. (...) Die Bedeutung 'sich etwas zuschulden kommen lassen

haben" hat sich aus 'Schulden haben' entwickelt." Aus der sprachgeschichtlichen

Erklärung geht (implizit) hervor, daß die heutige Bedeutung nicht dieselbe ist wie die

historisch ursprüngliche, daß aber die heutige Bedeutung aus der historischen

Entwicklung verständlich wird. Die ursprüngliche semantische Basis eines

Phrascologisnuis bezeichnen wir als Motivationsbasis.

Nun ist es gerade für sprachdidaktische Texte (für den Muttersprachunterricht)

beinahe charakteristisch, daß die synchrone und die diachrone Perspektive nicht

auseinandergehalten werden.

An phraseodidaktischen Texten für den Muttersprachunterricht zeigt P. Kühn

(1993), daß Redensarten vielfach vor allem unter ihrem kulturhistorischen Aspekt,

weniger unter dem der aktuellen Verwendung vermittelt werden. Diese Praxis hat

eine lange Tradition. Im Gefolge Jacob Grimms möchte bereits R. Hildebrand (1867,

4. Aufl. 1917) den Schülern im muttersprachlichen Unterricht eine „Naturgeschichte"

der Redensarten vermitteln (Kühn 1993, 71). Denn der Vorrat an Redensarten „bildet

den eigentlichen Geist, Gehalt und Reichtum, das eigentliche innerste Leben der

Sprache. Ist daran nichts zu lernen und lehren? Wichtiges und Schönes in

unerschöpflicher Fülle!" (bei Kühn 1993, 70) Gegen die Vermittlung

kulturhistorischer Hintergründe wäre an und für sich nichts einzuwenden, wenn

dadurch nicht die gegenwartsspezifischen Aspekte der Phraseologie in den

Hintergrund träten und der aktuelle Gebrauch in u. U. verzerrter Form wiedergegeben

würde. Ein in dieser Hinsicht ebenso typischer wie irreführender Versuch,

Redensarten zu vermitteln, besteht darin, sie in ihren ursprünglichen (oder auch

vermeintlichen) wörtlichen Kontext einzubetten und daraus „verständlich zu

machen":

Im Jahre 1605 kam ein wandernder Handwerksburschc in einen kleinen Ort.

(...) Er sah den Schuster, der alles über einen Leisten schlug, der Schmied

hatte mehrere Eisen im Feuer, und ein Pferd stand schon gut beschlagen

neben ihm. Weil der Hamlwerkslwschc seine Weste zerrissen hatte, ging er

zum Schneider. Der Iadelte schnell den Faden ein und flickte ihm einiges am

Zeug. (...)" usw.

Solehe Spielereien mit der Relation von phraseologischer, und wörtlicher

Bedeutung haben z. B. in der Werbung ihren guten - weil;witzigen - Sinn, in einem

didaktischen Text aber wären sie nur dann am Platz, wenn gleichzeitig die

Diskrepanz zwischen heutiger phraseologischer Bedeiitung'imd der historischen

Motivationsbasis gezeigt würde. (Damit sei nicht gesagt, daß didaktische Texte nicht

auch witzig sein dürfen.)

Annelies Häcki Buhofer (1987) analysiert eine für diese Tendenz typische

Serie von Kinder-Radiosendungen des Schweizer Radios, in denen Redensarten in

ihrer Geschichte und ihrer heutigen Verwendung vermittelt und verständlich gemacht

werden sollen. Z. B. heißt es da zum Phraseologimus jmdm. fällt es wie Schuppen

von den Augen, im Anschluß an eine Gesprächsszene, in der der Ausdruck

prototypisch eingebettet ist:

„Jetzt fällt es mir wie Schuppen von den Augen", hat die Frau in der Szene

gesagt, was meint sie damit, gibt es das überhaupt. Schuppen vor der Augen?

[Als Antwort auf die Frage wird dann schließlich auf die Bibel verveisen:]

In der Bibel haben wir eine Geschichte, die uns zeigt, wie d;ls genieint ist,

hört mal zu (...) (Häcki Buhofer 1987. 68 f.)

Die biblische Erzählung (Apostelgeschichte 9. 19) führt nun in verschiedener

Hinsicht geradezu in die Irre, was den heutigen Sprachgebrauch angeht: Saul

erblindet tatsächlich; die Redensart jedoch wird gerade nicht auf einer

wörtlichen Ebene verwendet, sondern man meint einen intellektuellen Vorgang

(Duden 11: 'jmdm. wird plötzlich etwas klar'). Ferner wird aus der Bibclstelle

nicht ersichtlich, was es mit den Schuppen auf sich hat. Schließlich könnte der

Verweis auf die biblische Herkunft die (irrige) Schlußfolgerung nahelegen, der

Ausdruck gehöre in einen stilistisch gehobenen, womöglich gar religiösen

Bereich. Diese falsche Fährte wird noch deutlicher j angeboten bei der

Redensart jmdm./für jmdn. ein Buch mit sieben Siegeln sein (Duden 11:

"jmdm. dunkel und unverständlich bleiben"). Dazu sagt die Radio Redakteurin,

man meine mit dem Buch in der Redensart „ein Buch, das ganz besonders gut

verschlossen ist. Aber noch mehr: ein Buch, das wir nicht aus eigener Kraft

lesen oder verstehen können, eigentlich ein Buch, das Gott selber öffnen muß.

ein Buch, das wir nur begreifen können, wenn Gott uns dalici hilft" (Häcki

Buhofer 1987, 72). Demgegenüber zeigt die Bedcutungserläüterung in Duden

11. daß das. was jmdm. unverständlich ist, in keiner Weise -|und schon gar

nicht religiös - eingeschränkt ist. Mit der Erklärung der Radiosendung wird

man also nicht nur in stilistischer, sondern auch in semantischer Hinsicht

fchlgeleitet.

Was in phraseodidaktischen Texten oder in der genannten Radiosendung

passiert, ist aber nicht nur ein „Fehler" der Vermittlung von Phraseologie, sondern

darin spiegelt sich eine generelle Haltung, die man als..Laie" gegenüber Sprache,

und insbesondere gegenüber Phraseologie einniinrnt und die man als

„volksetymologisch" oder „laienlinguistisch" bezeichnet: Man versucht, wo immer

möglich. Undurchsichtiges durchsichtig zu machen. Unmotiviertes zu motivieren,

eine Art von subjektiver Verständlichkeit zu erreichen. Dieses volksetymologische

Verfahren hat nichts mit wissenschaftlicher Etymologie zu tun, es ist auch nicht

einfach eine unwissenschaftlich-fehlerhafte Art, der „ursprünglichen" Bedeutung von

sprachlichen Zeichen auf die Spur zu kommen, sondern es ist ein durchaus kreatives

Verfahren, mit Sprache umzugehen. So erklärt es sich z. B., daß manche

Phraseologismcn mit unikalen Elementen wieder revitalisiert werden können (z. B.

Lappen in jmdm. durch die Lappen gehen, vgl. 8.2.3.).

Wenn man sich für die Geschichte eines Phrascologismus interessiert, dann

wird man zunächst einmal in der kulturhistorisch «nübertrcfflichen Fundgrube des

„Lexikons der sprichwörtlichen Redensarten" von Lutz Röhrich (1991 f.)

nachschlagen. Wenn man aber dort, wo einem das historische Problem unmittelbar

begegnet, nämlich in historischen Texten, nach einer Erklärung sucht, ist man vorerst

weitgehend allein gelassen. Das führt uns zum dritten Problembereich.

3) Jemand liest einen älteren Text und stößt dabei auf Ausdrücke, die ihm nicht

oder nur teilweise verständlich sind oder die ihm zwar bekannt vorkommen, aber in

einer etwas anderen Formulierung oder etwas anderer Bedeutung. Wir wollen diesen

Aspekt genauer diskutieren, und zwar an Texten aus der Zeit des ausgehenden 18.

und beginnenden 19. Jahrhunderts.

10.3 Phraseologie in älteren Texten

Texte der Aufklärung, des Sturm und Drang, der Klassik gehören immer noch

zum Lesekanon der Gymnasien, und sie werden im Deutschunterricht vielfach so

behandelt, als wären sie Texlc unserer Zeit, die man - von kleineren Ausnahmen

abgesehen - mit unserem heutigen Sprachwissen mühelos verstehen könnte. An der

Phraseologie - wie an der Lexik im allgemeinen - läßt sich jedoch ablesen, daß uns

diese Sprache schon in mancher Hinsicht fremd geworden ist, daß sie in der Schule

also einer bewußten didaktischen Vermittlung bedürfte. Als Werke, denen ich

Beispiele entnehme, wähle ich einige bekannte literarische Texte (je einen Text des

jungen und des älteren Goethe: „Die Leiden des jungen Werther" [1774J und „Die

Wahlverwandtschaften" [1809], „Michael Kohlhaas" von Heinrich von Kleist [1810]

und „Anton Reiser" [1785] von Karl Philipp Moritz, sodann das sozialgeschichtlich

äußerst aufschlußreiche Buch des Adolf Freiherr von Knigge „Über den Umgang mit

Menschen" [1788, 3. Aufl. 1790J. dessen Autor heute fälschlicherweise nur noch mit

Ratgeberbüchern für gutes Benehmen assoziiert wjrd. schließlich den

autobiographischen Text „Der arme Mann im Tockenburg" (1789) des literarischen

Außenseiters Ulrich Biäkerund am Rande noch Zeitungstexte vom Ende des 18.

Jahrhunderts).

Die Tatsache, daß wir für ältere Spnichstufen auf mehr oder weniger zufällige

Textbclege und auf - im Bereich der Phraseologie oft sehr unzuverlässige -

Wörterbucheinträge angewiesen sind, macht eine Beurteilung des Phraseologisierungsgrades

eines bestimmten Ausdrucks im Einzelfall schwierig, gelegentlich

sogar unmöglich. Dies trifft besonders im Bereich der Morphologie und Syntax zu:

Wir können aus dem Vorkommen eines Ausdruel|s-im Singular z. B. nicht schließen,

daß der Ausdruck im Plural damals nicht möglich war. daß also eine Numerus-

Fixierung vorhanden war. Nur der umgekehrte Schluß ist möglich: Wenn Belege in

beiden Numeri vorkommen - und das ist eine Frage der zufälligen Belegsituation -,

kann man annehmen, daß (noch) keine Fixierung auf eine Form vorhanden war.

Weniger problemaliseh'ist es in der Regel, einen Phraseologismus als solchen zu

identifizieren, der heute nicht mehr existiert. Wenn der Ausdruck aus Komponenten

besteht, die ajs Wörter noch existieren und noch verständlich sind und die damals

eine der heutigen ähnliche Bedeutung halten, wenn die Gesamtbedcutung sich aber

offensichtlich nicht aus den Bedeutungen der Komponenten erschließen läßt, dann

liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Phraseologismus vor.

Ein gutes Indiz für die Festigkeit eines Phraseologismus wären

Modifikationen, die einen bestimmten stilistischen Effekt haben (vgl.: 7.2.2.). Doch

sind Modifikationen schwer als solche erkennbar (und schwer; von Varianten

abgrenzbar), da man eine gesicherte Nennform als Basis zur Verfügung haben müßte,

was aber in der Regel nicht der Fall ist. Das folgende Beispiel zeigt einen seltenen

Glücksfall, bei dem mit großer Wahrscheinlichkeil eine Modifikation erkennbar ist:

Solch ein Zuchtmcistcr mußt es seyn, der alle meine Schwachheiten mit den

schwärzesten Farben schilderte, so wie ich hingegen geneigt war. dieselben, wo

nicht für kreidenweiß, doch für grau anzusehn. (Bräker. 280 f.)

Es ist anzunehmen, das etwas mit schwarzen Farben schildern die Basis ist. bei

der das Adjektiv schwarz zunächst eine Steigerung zu schwärzesten erfährt und dann

substituiert wird durch kreidenweiß und grau.

Ein synchroner Schnitt durch eine ältere Sprachstufe ergibt neben

Übereinstimmungen verschiedenartigste Differenzen zwischen damals und heute. Die

Unterschiede betreffen den Grad der Phraseologisicrung sowie die

lcxikalischsemantische und morphosyntaktische Struktur des Phraseologismus. Die

beiden Aspekte hängen teils zusammen, teils sind sie unabhängig voneinander. Wir

gruppieren die Belege nach den folgenden Gruppen:

- Phraseologismcn, die sich nicht verändert haben (6.2.1.);

- Phraseologismen, die seither ausgestorben sind (6.2.2.);

- Phraseologismen, die heute eine andere lexikalische Besetzung (6.2.3.) oder

eine andere morphosyntaktische Struktur (6.2.4.) aufweisen als damals, die aber noch

als „dieselben" Phraseologismen mit derselben Bedeutung erkennbar sind:

- Phraseologismen, die der Form nach gänzlich oder weitgehend gleich

geblieben sind, deren Bedeutung sich aber bis heute verändert hat (6.2.5.);

- Phraseologismen mit unikalen Komponenten, die damals zwar schon

phraseologische, aber noch semantisch durchsichtige Wortverbindungen waren

(6.2.6.);

- Wortverbindungen, die heute phraseologisch sind, die damals aber noch als

freie Verbindungen oder als schwach phraseologische Verbindungen fungierten

(6.2.7.):

- Wortverbindungen, die damals phraseologisch waren, heute aber univerbiert

sind (6.2.8.).

Ich betrachte die Texte jeweils aus der Perspektive des heutigen Lesers und

versuche herauszufinden, inwieweit man mit dem Wissen über die heutige Sprache

zu einem Verständnis des älteren Textes gelangen kann. Zur Überprüfung des

Eindrucks, den ich auf diese Weise gewinne, ziehe ich für die Texte die

zeitgenössischen Wörterbücher von Adelung und Campe sowie das Deutsche

Wörterbuch (DW) hinzu.


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