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Dem Superhelden kneift die Hose
Lakonisch und grandios: Tilo Richters und Jan Kottischs Graphic Novel "Flash Preußen" erzählt die Geschichte eines tragischen Weltenretters.
© Tilo Richter und Jan Kottisch Flash Preußen, der Held des Comics
Der Superheld lebt im Plattenbau, neun Geschosse, mindestens. Drinnen: ein düsteres Treppenhaus, schmucklose Türen mit Spion. Da drüben wohnt Herr Paschke von Jugendamt, hier vorne wohnt Flash Preußen. "Preußen war ein ruhiger Nachbar", sagt eine Hausbewohnerin über ihn. Draußen: eine Friedenstaube und zwei Wolken, groß auf die Fassade gemalt. Von ganz oben hat man einen Blick über die ganze Neubausiedlung. Man kann sich aber auch in den Tod stürzen. Wenn man bereit ist.
Flash Preußen ist noch nicht bereit.
Anzeige <div><a href="http://ad.de.doubleclick.net/jump/zeitonline/kultur/literatur/article;tile=4;sz=300x250;kw=zeitonline;ord=123456789?" rel="nofollow"><img src="http://ad.de.doubleclick.net/ad/zeitonline/kultur/literatur/article;tile=4;sz=300x250;kw=zeitonline;ord=123456789?" width="300" height="250" style="border:none;" alt=""></a></div> Preußen ist ein trauriger Held. Eine kleine Wampe spannt sich unter dem Ganzkörperanzug, die Badehose saß auch schon mal knackiger am Hintern, die Latexhandschuhe und -stiefel wirken eher albern. Flash Preußen wird leicht aggressiv, Spaß scheint ihm das Leben nicht zu bereiten. Eine bürgerliche Zweit-Existenz, auf die er sich zurückziehen könnte, hat er nicht. Flash ist immer Flash.
Erfunden haben ihn der Mecklenburger Grafiker Tilo Richter und der Schweriner Texter Jan Kottisch. Eigentlich war Flash Preußen nur eine Studienarbeit an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, wo unter anderem auch die Zeichner Arne Bellstorf und Sascha Hommer studierten und Anke Feuchtenberger lehrt. Doch durch den Gewinn des erstmals verliehenen Afkat-Förderpreises, finanziert durch eine Anwaltskanzlei, konnte die Graphic Novel nun beim Hamburger Independent-Verlag Mairisch veröffentlicht werden.
In vier Kapiteln mit markanten Namen – Tier, Sonne, Fortschritt, Flug – erzählen Richter und Kottisch von Preußens letzter Reise. Denn bevor er abdanken kann, muss er nochmal zurück nach Hause. Simone, seine Nachbarin und die Off-Erzählerin des Buches, fährt ihm hinterher. Durch die weiten, flachen Agrarlandschaften Mecklenburgs, in sein Dorf, in dem kahle Bäume menschenleere Straßen säumen. Unter dem Giebel von Flashs Elternhaus hängt noch immer eine Sonne, die Scheiben sind kaputt. Die Dorfkirche wird überragt von den Türmen der alten Milchviehanlage, die längst nicht mehr im Betrieb ist.
Hier ging es los, hier wurde ein kleiner Junge, dessen Zahn in die Jauchegrube gefallen war, zu Flash, dem Helden. Und hier lud er dunkle Schuld auf sich. Obwohl Kottisch und Richter in Form, Atmosphäre und Tempo jegliche Actionheldenklischees konterkarieren, wählen sie mit der Herkunftsgeschichte ein klassisches Genremotiv. Wie der Raubmord an den Eltern des jungen Bruce Wayne (Batman) oder die verstrahlte Spinne, die Peter Parker beißt (Spiderman) – Schlüsselmomente, in denen Menschen aus ihrem normalen Leben gerissen werden, um fortan die Gesellschaft zu beschützen und zugleich jenseits von ihr zu stehen.
So beklemmend die Geschichte, so entrückt sind die Bilder. Nur ganz selten unterbricht Tilo Richter sein Raster aus zwei querformatigen Panels pro Seite. Die schwarz-grauen Kohlezeichnungen, realistisch und doch sehr ausdrucksstark, sind grandios, stumme Impressionen der Landschaft seiner Heimat: der dunkle Wald, die Plattenbauten, ein Reh in Großaufnahme. Sprechblasen sind selten und werden wie aufdringliche und amorphe Fremdkörper inszeniert. Um die Geschichte voranzutreiben, die immerhin in einer handfesten Verfolgungsjagd mündet, nutzt Jan Kottisch lieber einen Off-Text unter den Bildern. Oft aber auch einfach gar keinen.
Man muss die Geister der Vergangenheit besiegen, um sich der Zukunft zu stellen – selbst wenn man keine mehr hat. Anfang und Ende, Geburt und Tod von Flash Preußen sind das Thema dieser Graphic Novel. Was dazwischen passiert, ob Preußen eigentlich auch was taugt als Held, erfahren wir nicht. Noch nicht. Flash Preußen ist als Trilogie angelegt, der zweite Teil (Titel: Der Betondachs) ist bereits in Arbeit. Traurige Helden, Kohlezeichnungen auf Munkenpapier mit intensivem Eigengeruch, die Wortlosigkeit, der strenge Aufbau: Es ist schon alles sehr artifiziell, was Kottisch und Richter hier vorlegen. Aber auch sehr gut.
© Tilo Richter und Jan Kottisch
Der Tag hatte begonnen – Nur noch ein kleiner Schritt - Flash Preußen wollte sterben. und alles wäre vorbei.
Seine Badehose zwickte. Er zögerte.
Ein Schmerz durchfuhr ihn - körperlos und Ungewissheit durchwühlte seine Eingeweide. drückend. Pochend wie das Wundloch eines Zahns. Wie ein vor langer Zeit verschluckter Nagel. Rostig und unverdaut. Nein. Er war noch nicht fertig.
Er musste zurück - einmal noch. Wie ein Das war der Anfang vom Ende von Flash Preußen. alter Mann trollte er sich vom Dach.
Fluchend schloss er die Wohnungstür auf – Unter mir wohnte Herr Paschke vom Jugendamt. und hielt inne. Er war aufgebracht. Seine Es roch streng aus seiner Wohnung. Erregung drang bis in meine Wohnung. Doch Flash Preußen regte sich nicht ab.
Sein Hals wellte, sein Rumpf verspannte. Wenig später taumelte Preußen über die Straße. Dann knirschte es dumpf - es war Punkt 12 Uhr. Wie ein verwirrtes Tier. Ich machte mir Sorgen.
Als kleiner Junge spielte er oft auf Stundenlang. Allein. Zufrieden. dem Gelände der Milchviehanlage.
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