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Das zwanzigste Kapitel - Das dicke Ende
Fritz Hagedorn und seine Mutter folgten dem Diener, der ihnen das Parktor geöffnet hatte. Zwischen den kahlen Bäumen schimmerten in regelmäßigen Abständen große Kandelaber. Auf der Freitreppe flüsterte die Mutter: »Du, das ist ja ein Schloß!« In der Halle nahm ihnen der Diener die Hüte und die Mäntel ab. Er wollte der alten Dame beim Ausziehen der Überschuhe behilflich sein. Sie setzte sich, drückte ihm den Schirm in die Hand und sagte: »Das fehlte gerade noch!« Sie stiegen ins erste Stockwerk. Er schritt voraus. In einer Treppennische stand ein römischer Krieger aus Bronze. Mutter Hagedorn deutete hinüber.»Der paßt auf, daß nichts wegkommt.« Der Diener öffnete eine Tür. Sie traten ein. Die Tür schloß sich geräuschlos. Sie standen in einem kleinen Biedermeiersalon. Am Fenster saß ein Herr. Jetzt erhob er sich. »Eduard!«rief Fritz und stürzte auf ihn los.»Gott sei Dank, daß du wieder da bist! Der olle Tobler hat dich auch eingeladen? Das finde ich ja großartig. Mutter, das ist er! Das ist mein Freund Schulze. Und das ist meine Mutter.« Die beiden begrüßten sich. Fritz war aus dem Häuschen. »Ich habe dich wie eine Stecknadel gesucht. Sag mal, stehst du überhaupt im Adreßbuch? Und weißt du, wo Hilde wohnt? Schämst du dich denn gar nicht, daß du mich in Bruckbeuren hast sitzenlassen? Und wieso sind Hilde und Tante Julchen mitgefahren? Und Herr Kesselhuth auch? Einen schönen Anzug hast du an. Auf Verdacht oder auf Vorschuß, wie?« Der junge Mann klopfte seinem alten Freund fröhlich auf die Schulter. Eduard kam nicht zu Worte. Er lächelte unsicher. Sein Konzept war ihm verdorben worden. Fritz hielt ihn noch immer für Schulze! Es war zum Davonlaufen! Mutter Hagedorn setzte sich und zog einen Halbschuh aus. »Es gibt anderes Wetter«, sagte sie erläuternd.»Herr Schulze, ich freue mich, Sie kennenzulernen. Einen hätten wir also, mein Junge. Das Fräulein Braut werden wir auch noch finden.« Es klopfte. Der Diener trat ein. »Fräulein Tobler läßt fragen, ob die gnädige Frau vor dem Essen ein wenig mit ihr plaudern möchte.« »Was denn für eine gnädige Frau?«erkundigte sich die alte Dame. »Wahrscheinlich sind Sie gemeint«, sagte Eduard. »Das wollen wir aber nicht einführen«, knurrte sie.»Ich bin Frau Hagedorn. Das klingt fein genug. Na schön, gehen wir plaudern. Schließlich ist das Fräulein die Tochter eures Chefs.« Sie zog ihren Schuh wieder an, schnitt ein Gesicht, nickte den zwei Männern vergnügt zu und folgte dem Diener. »Warum bist du denn schon wieder in Berlin?«fragte Eduard. »Erlaube mal!«sagte Fritz beleidigt.»Als mir der Türhüter Polter mitteilte, was vorgefallen war, gab es doch für Hagedorn keinen Halt mehr.« »Die Casparius ließ mir durch den Direktor zweihundert Mark anbieten, falls ich sofort verschwände.« »So ein freches Frauenzimmer«, meinte Fritz.»Sie wollte mich verführen. Das liegt auf der Hand. Du warst ihrem Triebleben im Wege. Menschenskind, die wird Augen gemacht haben, als ich weg war!« Er sah seinen Freund liebevoll an.»Daß ich dich erwischt habe! Nun fehlt mir nur noch Hilde. Dann ist das Dutzend voll. — Warum ist sie eigentlich auch getürmt? Hat sie dir ihre Adresse gegeben?« Es klopfte. Die Tür zum Nebenzimmer öffnete sich. Der Diener erschien und verschwand. Eduard stand auf und ging hinüber. Fritz folgte vorsichtig. »Aha!«sagte er.»Der Arbeitsraum des Wirtschaftsführers. Da wird er wohl bald persönlich auftauchen. Eduard, mach keine Witze! Gleich setzt du dich auf einen anderen Stuhl!« Eduard hatte sich nämlich hinter den Schreibtisch gesetzt. Fritz war ärgerlich.»Wenn der olle Tobler keinen Spaß versteht, fliegen wir raus! Setz dich woanders hin! Ich will doch heiraten, Eduard!« Aber der andere blieb hinterm Schreibtisch sitzen. »Nun höre, bitte, mal zu«, bat er.»Ich habe dich in Bruckbeuren ein bißchen belogen. Es war mir gar nicht angenehm. Ich lüge ungern. Höchst ungern! Aber in dem verdammten Hotel hatte ich nicht die Courage zur Wahrheit. Ich hatte Angst, du könntest mich mißverstehen.« »Eduard«, sagte der junge Mann.»Nun wirst du albern! Quatsch keine Opern! Heraus mit der Sprache! Inwiefern hast du mich beschwindelt? Setze dich aber, ehe du antwortest, auf einen anderen Stuhl. Es macht mich nervös.« »Die Sache ist die«, fing Eduard an.»Mit dem Stuhl hängt es auch zusammen. Es fällt mir schrecklich schwer. Also...« Da klopfte es wieder einmal. Der Diener trat ein, sagte:»Es ist serviert, Herr Geheimrat!«und ging. »Was ist los?«fragte Hagedorn und stand auf.»Was hat der Lakai zu dir gesagt? Geheimrat?« Eduard zuckte verlegen die Achseln. »Stell dir vor!«meinte er.»Ich kann's nicht ändern, Fritz. Sei mir nicht böse, ja? Ich bin der olle Tobler.« Der junge Mann faßte sich an den Kopf. »Du bist Tobler? Du warst der Millionär, für den man mich gehalten hat? Deinetwegen hatte ich drei Katzen im Zimmer und Ziegelsteine im Bett?« Der Geheimrat nickte. »So ist es. Meine Tochter hatte hinter meinem Rücken telefoniert. Und als du und ich ankamen, wurden wir verwechselt. Ich konnte mein Inkognito nicht aufgeben. Ich hatte das Preisausschreiben doch unter dem Namen Schulze gewonnen! Siehst du das ein?« Hagedorn machte eine steife Verbeugung. »Herr Geheimrat, unter diesen Umständen möchte ich Sie bitten...« Tobler sagte:»Fritz, sprich jetzt nicht weiter! Ich bitte dich darum. Rede jetzt keinen Unsinn, ja? Ich verbiete es dir!« Er trat zu dem jungen Mann, der ein störrisches Gesicht machte. »Was fällt dir eigentlich ein? Ist dir unsere Freundschaft so wenig wert, daß du sie ganz einfach wegwerfen willst? Bloß, weil ich Geld habe? Das ist doch keine Schande!«Er packte den jungen Mann am Arm und ging mit ihm im Zimmer auf und ab. »Schau her! Daß ich mich als armer Mann verkleidete, das war wenig mehr als ein Scherz. Ich wollte einmal ohne den fatalen Nimbus des Millionärs unter Menschen gehen. Ich wollte ihnen näherkommen. Ich wollte erleben, wie sie sich zu einem armen Mann benehmen. Nun, der kleine Scherz ist erledigt. Was ich erleben wollte, hat wenig zu bedeuten, wenn ich's mit dem vergleiche, was ich erlebt habe. Ich habe einen Freund gefunden. Endlich einen Freund, mein Junge! Komm, gib dem ollen Tobler die Hand!«Der Geheimrat streckte Fritz die Hand entgegen.»Donnerwetter noch einmal, du Dickschädel! Wird's bald?« Fritz ergriff die dargebotene Hand. »Geht in Ordnung, Eduard«, sagte er.»Und nichts für ungut.« Als sie das Speisezimmer betraten, meinte der Geheimrat: »Wir sind natürlich die ersten. Daß die Frauen immer so lange klatschen müssen!« »Ja, richtig«, sagte Hagedorn.»Du hast eine Tochter. Wie alt ist denn das Ganze?« Tobler schmunzelte. »Sie befindet sich im heiratsfähigen Alter und ist seit ein paar Tagen verlobt.« »Fein«, meinte Fritz.»Ich gratuliere. Nun aber ernsthaft: Weißt du wirklich nicht, wo Hilde wohnt?« »Sie hat mir keine Adresse angegeben«, erwiderte der Geheimrat diplomatisch.»Aber du wirst sie schon noch kriegen. Die Hilde und die Adresse.« »Ich habe auch so das Gefühl«, sagte der junge Mann.»Aber wenn ich sie erwische, kann sie was erleben! Sonst denkt sie womöglich, ich lasse mich in der Ehe auf den Arm nehmen. Da muß man rechtzeitig durchgreifen. Findest du nicht auch?« Durch eine Tür, die sich öffnete, rollte ein Servierwagen. Ein grauhaariger Diener folgte. Er schob den mit Schüsseln beladenen Wagen vor sich her und hielt den Kopf gesenkt. Als das Fahrzeug stillstand, hob er das Gesicht und sagte: »Guten Abend, Herr Doktor.« »'n Abend«, entgegnete Hagedorn. Dann aber sprang er hoch.»Herr Kesselhuth!« Der Diener nickte. »In der Tat, Herr Doktor.« »Und die Reederei?« »War Rederei«, erklärte der Geheimrat.»Johann ist mein alter Diener. Ich wollte nicht allein nach Bruckbeuren fahren. Deshalb mußte er den Schiffahrtsbesitzer spielen. Er hat seine Rolle glänzend gespielt.« »Es war nicht leicht«, sagte Johann bescheiden. Fritz fragte:»Widerspricht es Ihrer Berufsauffassung, wenn ich Ihnen herzhaft die Hand schüttle?« Johann sagte:»Im vorliegenden Falle darf ich, glaube ich, eine Ausnahme machen.« Fritz drückte ihm die Hand. »Jetzt begreife ich erst, warum Sie über Eduards Zimmer so entsetzt waren. Ihr habt mich ja schön angeschmiert!« Johann sagte:»Es war kein Zimmer, sondern eine Zumutung.« Fritz setzte sich wieder. Der alte, vornehme Diener tat die Schüsseln auf den Tisch. Der junge Mann meinte lachend: »Wenn ich bedenke, daß ich mich deinetwegen habe massieren lassen müssen, dann müßte ich von Rechts wegen unversöhnlich sein. Ach, ich habe dir übrigens einen alten Zinnkrug gekauft. Und Ihnen, Johann, eine Kiste Havanna. Und für Hilde ein Paar Ohrgehänge. Die kann ich mir jetzt durch die Nase ziehen.« »Vielen Dank für die Zigarren, Herr Doktor«, meinte Johann. Hagedorn schlug auf den Tisch. »Ach, das wißt ihr ja noch gar nicht! Bevor ich wegfuhr, habe ich doch dem Herrn Hoteldirektor und dem Portier mitgeteilt, Tobler fragte:»Johann, hat Generaldirektor Tiedemann angerufen?« »Noch nicht, Herr Geheimrat.«Der Diener wandte sich an Hagedorn. »Der Toblerkonzern wird heute oder morgen das Grandhotel Bruckbeuren kaufen. Und dann fliegen die beiden Herren hinaus.« »Aber Eduard«, sagte Fritz.»Du kannst doch zwei Angestellte nicht für den Hochmut der Gäste büßen lassen! Es waren zwei Kotzbrocken, zugegeben. Doch dein Einfall, als eingebildeter Armer in einem Luxushotel aufzutreten, war auch reichlich schwachsinnig.« »Johann, hat er recht?«fragte der Geheimrat. »So ziemlich«, gab der Diener zu.»Der Ausdruck, >schwachsinnig< erscheint mir allerdings etwas hart.« Die Herren lachten. Da kam Hagedorns Mutter hereinspaziert. »Wo man lacht, da laß dich ruhig nieder«, sagte sie. Fritz sah sie fragend an.»Ich weiß Bescheid, mein Junge. Fräulein Tobler hat mich eingeweiht. Sie hat große Angst vor dir. Sie ist daran schuld, daß du ein paar Tage Millionär warst. Übrigens ein bezauberndes Mädchen, Herr Geheimrat!« »Ich heiße Tobler«, erwiderte er.»Sonst nenne ich Sie gnädige Frau!« »Ein bezauberndes Mädchen, Herr Tobler!«meinte die alte Dame.»Schade, daß ihr beiden schon verlobt seid, Fritz!« »Wir könnten ja Doppelhochzeit feiern«, schlug Hagedorn vor. »Das wird sich schlecht machen lassen«, sagte der Geheimrat. Plötzlich klatschte Fritzens Mutter dreimal in die Hände. Daraufhin öffnete sich die Tür. Ein junges Mädchen und eine alte Dame traten ein. Der junge Mann stieß unartikulierte Laute aus, riß einen Stuhl um, rannte auf das Fräulein los und umarmte sie. »Endlich«, flüsterte er nach einer Weile. »Mein Liebling«, sagte Hildegard.»Bist du mir sehr böse?« Er preßte sie noch fester an sich. »Machen Sie Ihre Braut nicht kaputt«, meinte die Dame neben ihm.»Es nimmt sie Ihnen ja keiner weg.«Er trat einen Schritt zurück. »Tante Julchen? Wie kommt ihr denn eigentlich hierher? Ach so, Eduard hat euch eingeladen, um mich zu überraschen.« Das junge Mädchen sah ihn an. Mit ihrem kerzengeraden Blick. »Es liegt anders, Fritz. Erinnerst du dich, was ich dir in Bruckbeuren antwortete, als du mich nach meinem Namen fragtest?« »Klar«, meinte er.»Du sagtest, du heißt Schulze.« »Du irrst dich. Ich sagte, ich hieße genau so wie dein Freund Eduard.« »Na ja! Eduard hieß doch Schulze!« »Und wie heißt er jetzt?« Fritz blickte von ihr zu dem Tisch hinüber. Dann sagte er: »Du bist seine Tochter? Ach, du liebes bißchen!« Sie nickte.»Wir hatten solche Angst. Und da fuhr ich mit Frau Kunkel los. Wir wußten durch Johanns Briefe, wie sehr Vater schikaniert wurde.« »So ist das«, meinte er.»Und Tante Julchen ist gar nicht deine Tante?« »O nein«, sagte die Kunkel.»Ich bin die Hausdame. Mir genügt's.« »Mir auch«, meinte Hagedorn.»Keiner war der, der er schien. Und ich Riesenroß habe alles geglaubt. Ein Glück, daß ich nicht Detektiv geworden bin!«Er gab der Kunkel die Hand.»Ich bin sehr froh, daß Sie nicht die Tante sind. Die Übersicht könnte darunter leiden. Ich habe bereits einen Freund, der mein Schwiegervater wird. Und meine zukünftige Frau ist die Tochter meines Schwiegervaters, nein, meines Freundes. Und außerdem ist mein Freund mein Chef.« »Vergiß nicht, dir deine Arbeiten wiedergeben zu lassen«, mahnte die Mutter. »Sie liegen schon in seinem Büro«, sagte Tobler.»Ich kann dir nicht helfen, mein Junge. Du wirst Direktor unserer Propagandazentrale. Später mußt du dich auch in die übrige Materie einarbeiten. Ich brauche einen Nachfolger. Und zwar einen, der sich mehr um den Konzern kümmert, als ich es getan habe. Ich werde nur noch Briefmarken sammeln und mich mit deiner Mutter für unsere Enkelkinder interessieren.« »Nur nicht drängeln«, sagte Hilde.»Wenn du Fritz mit dem Konzern verheiratest, gehe ich ins Kloster. Dann könnt ihr sehen, wo ihr bleibt.« »Die Enkel sind mir wichtiger«, meinte Mutter Hagedorn. Der Geheimrat tröstete die alte Dame. »Abends hat er Zeit.« Sie setzten sich alle. Hilde und Fritz rückten eng zusammen. Johann öffnete die dampfende Terrine. »Was gibt's denn?«fragte Tobler. Die Kunkel faltete die Hände überm Kleid und sagte: »Nudeln mit Rindfleisch.« Als sie nach dem Essen Kaffee und Kognak tranken, klingelte das Telefon. Johann ging an den Apparat. »Generaldirektor Tiedemann möchte Sie sprechen, Herr Geheimrat.«Er hielt Tobler den Hörer entgegen.»Es ist sicher wegen des Hotelkaufs.« »Eduard!«rief Fritz.»Sei so lieb und schmeiße den Portier und den Direktor nicht hinaus!« »Wozu hat er denn dann das Hotel kaufen lassen?«fragte Frau Kunkel.»Die Kerls fliegen. Wurst wider Wurst.« Der Geheimrat stand am Telefon »'n Abend, Tiedemann. Ich dachte mir's schon. Ja, wegen des Hotels. Nun und? Was? Der Besitzer will es nicht verkaufen? Zu gar keinem Preis?« Die anderen saßen am Tisch und lauschten gespannt. Der Geheimrat zog ein erstauntes Gesicht. »Nur mir will er's nicht verkaufen? Ja, warum denn nicht?« Eine Sekunde später begann Tobler laut zu lachen. Er legte den Hörer auf die Gabel, kam lachend zum Tisch zurück, setzte sich und lachte weiter. Die anderen wußten nicht, was sie davon halten sollten. »Nun rede schon!«bat Fritz.»Warum kannst du das Hotel nicht kaufen?«
Der Geheimrat sagte:»Weil es schon mir gehört.« Ïîèñê ïî ñàéòó: |
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