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Vorlesung 3: Bedeutungsbeziehungen im lexikalisch-semantischen System

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1. Paradigmatische Beziehungen. Syntagmatische Beziehungen

 

Unter lexikalisch-semantischem System versteht man die Gesamtheit von Lexemen, die durch paradigmatische Beziehungen zu einer Einheit verknüpft werden. Unter paradigmatischen Beziehungen verstehen wir Beziehungen zwischen eindeutigen Wörtern und Sememen der mehrdeutigen Wörter im Sprachsystem, die in ein und demselben Kontext auftreten können und einander in diesem Kontext gegenseitig bestimmen oder ausschließen. Diese Einheiten sind durch die Relation der Opposition verbunden: (1) Mann – Frau, (2) Mann – Frau, (3) Mann – Junge, (4) Mann – Arbeiter, (5) Mann – Offizier. Diese fünf Paradigmen ermöglichen es, die Semantik des Lexems "Mann" ohne Kontext zu bestimmen. Das Paradigma (1) charakterisiert das Lexem auf Grund des Merkmals "Art von Lebewesen", das Paradigma (2) – "Geschlecht", (3) – "Alter", (4), (5) – "Beruf, Beschäftigung". Paradigmatische Beziehungen existieren zwischen den Wörtern der gleichen Wortart.

 

Zwischen Wörtern in der Wortgruppe, im Satz, im Kontext, d.h. bei der Aktualisierung der Lexeme in der Rede, knüpfen sich syntagmatische Beziehungen an. Die Unterscheidung von Paradigmatik und Syntagmatik geht auf F. de Saussure zurück. Vertikale (paradigmatische) und horizontale (syntagmatische) Beziehungen kann man folgenderweise darstellen:

 

Paradigmatik

 

Der Mann liest ein Buch / eine Zeitung / eine Zeitschrift...

 

Die Frau schreibt einen Brief

 

Syntagmatik

 

2. Hyponymie und Hyperonymie

 

Der Beziehung Überordnung – Unterordnung liegt die logische Inklusion (включение) zu Grunde. Man unterscheidet in dieser Hierarchie den Oberbegriff (Gattungsbegriff – родовое понятие) und die Unterbegriffe (Artbegriffe – видовые понятия). Wörter, die Oberbegriffe bezeichnen, heißen Hyperonyme. Wörter, die Unterbegriffe bezeichnen, heißen Hyponyme: Blume (Hyperonym) – Nelke, Rose, Tulpe (Hyponyme). In der Hierarchie der Begriffe sind Hyponyme stufenweise ineinander und in das oberste Hyperonym eingefügt (Matrjoschka-Prinzip):

 

Lebewesen (Hyperonym) – Tier, Mensch (Hyponyme)

 

Tier (Hyperonym) – Haustier, Wildtier (Hyponyme)

 

Haustier (Hyperonym) – Vieh (Hyponym)

 

Vieh (Hyperonym) – Rind (Hyponym)

 

Rind (Hyperonym) – Kuh, Stier, Kalb (Hyponyme) usw.

 

Je tiefer in diesem Aufbau ein Wort liegt, desto enger ist sein Bedeutungsumfang (seine Bedeutungsextension – объем понятия, экстенсионал) und desto mehr Seme hat sein Inhalt (seine Bedeutungsintension – содержание понятия, интенсионал). Je weiter der Bedeutungsumfang, desto weniger Seme gibt es in seinem Inhalt.

 

Die jeweils einem Hyperonym untergeordneten Lexeme nennt man Kohyponyme: Obst (Hyperonym) – Apfel, Birne, Pflaumen … (Kohyponyme).

 

3. Synonymie. Klassifikation von Synonymen. Quellen und Funktionen der Synonyme

 

Lexikalische Synonyme sind Wörter mit identischer oder ähnlicher Bedeutung bei unterschiedlicher Lautgestalt. Aus onomasiologischer (vom Inhalt her) Sicht sind Synonyme sinnverwandte oder sinngleiche Wörter (Sememe). Aus semasiologischer Sicht (von der Form her) sind Synonyme verschiedene sprachliche Zeichen für ein und dasselbe Denotat. Synonymie ist die paradigmatische Beziehung von Bedeutungsgleichheit oder Bedeutungsähnlichkeit, die zwischen Synonymen besteht. Da jede Bedeutung des Wortes ein Sembündel darstellt, so müssen bei Synonymen die meisten Seme übereinstimmen. Die Unterschiede können begrifflicher (konzeptueller), konnotativer oder stilistischer Natur sein. Die Ursache der Synonymie ist die Benennung des Gegenstandes oder Erscheinung nach verschiedenen Merkmalen. Da ein Begriff verschiedene Merkmale besitzt, können der Bezeichnung verschiedene Merkmale zugrunde liegen, z.B. Synonyme für " одуванчик " Löwenzahn (Merkmal: "Form und Farbe der gelben Blütenblätter), Pusteblume (Merkmal "Samen können leicht weggepustet werden", Kuhblume (Merkmal "Futterpflanze für Vieh"), Milchstengel (Merkmal "Milchsaft im Stengel"). Synonyme sind somit Lexeme (Sememe), die über einen Kern gleicher Bedeutungsmerkmale (Seme) verfügen, sich aber durch periphere denotative oder konnotative Seme oder durch beides unterscheiden. Die Gesamtheit der Synonyme nennt man synonymische Reihe (synonymische Gruppe). Synonymische Reihe ist eine historisch entstandene, aber jetzt synchrone Lexemgruppierung mit Systemcharakter, die auf semantischer Identität oder semantischer Gleichheit aufgebaut ist. Die synonymische Reihe hat gewöhnlich eine Dominante (das Grundsynonym) – das semantisch klarste, stilistisch neutral und gebräuchlicher als die übrigen Wörter. Die Dominante ist begrifflich und stilistisch eine Invariante der anderen Glieder der synonymischen Reihe, z.B. schnell (D) – rasch – geschwind - hastig.

 

Man unterscheidet vollständige (absolute, totale) Synonyme und unvollständige (partielle) Synonyme. Absolute Synonyme sind in der Sprache sehr selten. Das sind gewöhnlich Wortpaare aus einem internationalen Wort und seiner Lehnübertragung im Deutschen, z.B. Radio – Rundfunk, importieren – einführen, Sprachwissenschaft – Linguistik. Partielle Synonyme gliedern sich weiter in ideographische (begriffliche) und stilistische. Ideographische Synonyme stimmen in den wesentlichen Bedeutungsmerkmalen des begrifflichen Kerns überein, unterscheiden sich aber durch bestimmte inhaltliche Bedeutungsmerkmale (Seme) und daher im Gebrauch. Z.B.:

 

Übereinstimmungen und Unterschiede im Gebrauch: eine flache, steil abfallende Küste, an der Küste entlangfahren, ein breiter, schmaler, steiniger Strand, sonnige, überschmutzte, überfüllte Strände, am Strand des Meers, ein steiles, flaches, hohes Ufer, am Ufer des Flusses, jenseitige, diesseitige Ufer, das Ufer befestigen, das Schiff am Kai festmachen etc. In der Regel beziehen sich ideographische Synonyme auf verschiedene Denotate, die doch einen wesentlichen gemeinsamen Teil des Sembestandes aufweisen.

 

Stilistische Synonyme zeichnen sich durch ihre besondere stilistische Beschaffenheit, durch ihre besondere expressive stilistische Färbung oder durch den Gebrauch in verschiedenen funktionalen Stilen. Neutralen Wörtern stehen emotional gefärbte oder funktionalstilistisch markierte Ausdrücke gegenüber. Stilistische Synonyme beziehen sich auf das gleiche Denotat und haben daher gemeinsame denotative Seme, unterscheiden sich aber durch konnotative Seme. Z.B.:

 
 

 


Oft sind die Unterschiede zwischen den Synonymen in einer synonymischen Reihe sowohl ideographisch als auch stilistisch, vgl.: Junggeselle – Einspänner (ugs., scherz.) – Jüngling – Single – Unverheirateter – Alleinstehender (Rechtssprache).

 

Als besondere Gruppe der Synonymie gelten territoriale (regionale) Dubletten: Fleischer / Metzger, Sonnabend / Samstag, Treppe / Stiege, fegen / kehren etc.

 

Synonyme können im Text verschiedene Funktionen erfüllen. Mit Hilfe von Synonymen vermeidet man im Text unnötige Wiederholung. Synonyme heben bestimmte Merkmale des Denotats hervor. Bei der Wahl des Synonyms ist der Sprecher bestrebt, ein treffendes Wort auszuwählen. Synonyme können steigernde und intensivierende Funktion haben. Synonyme erfüllen eine erläuternde, präzisierende und emotional-expressive Funktion. Sie dienen auch als Quellen der euphemistischen Umschreibungen.

 

Um semantische und syntaktische Unterschiede zwischen Synonymen festzustellen, verwendet man die distributive Analyse. Distributionsanalyse besteht in der Ermittlung bestimmter Umgebungen (Distributionen) für jedes Synonym. Die Distributionen werden auf syntaktischer und lexikalischer Ebene erforscht.

 

4. Antonymie. Klassifikation von Antonymen

 

Antonyme sind Wörter (Sememe) mit gegensätzlicher Bedeutung (Gegenwörter, Gegensatzwörter, Wörter des Gegensinns). Die Antonyme treten in Paaren auf, da ihnen die logische, kognitive Kategorie der Polarität, des Gegensatzes zugrunde liegt. Wo in der Wirklichkeit keine Polarität möglich ist, gibt es auch keine Antonyme. Es wäre daher sinnlos, nach Antonymen zu Gegenstandsbezeichnungen zu suchen (Tisch, Haus, Kino). Die Antonyme haben im Wesentlichen die gleichen Seme, sie stimmten im Kern der Bedeutungsmerkmale überein, unterscheiden sich aber durch eine Negation: kalt – warm, rechts – links. Manchmal wird es durch Affixe ausgedrückt: gelingen – misslingen, freundlich – unfreundlich, wasserreich – wasserarm. Die Antonyme gehören einer und derselben Wortart an. Die kognitive Grundlage der Antonymie bildet das Vorhandensein von Qualitäten des Begriffe, die graduiert werden können: + / Nullpunkt / –. Daher sind Antonyme für einige Verben und für die qualitativen Adjektive/Adverbien und die von ihnen abgeleiteten Substantive typisch: geben – nehmen, verheiratet – ledig, gesund – krank. Im adjektivischen Bereich lassen sich die Antonyme nach ihrer Entfernung vom Nullpunkt anordnen: kalt – lau – warm – heiß. Die Adjektive haben jeweils ein Graduierungssem +/–.

 

Es gibt drei Klassifikationen der Antonyme. Nach dem Umfang der gegensätzlichen Bedeutungen unterscheidet man totale Antonyme, in denen alle Sememe einander gegenüberstehen (**es/dünnes Haar, dickes/dünnes Buch) oder die durch die Wortbildung entstanden sind (möglich – unmöglich), und partielle Antonyme, in denen nur ein oder einige Sememe gegenüberstehen (trockener/nasser Sommer, trockene/lebendige Rede). Bei polysemen Wörtern gibt es verschiedene Antonyme für verschiedene Sememe: finster (Farbe) – hell, licht; finster (Gesichtsausruck) – heiter, freundlich; finster (Ruf) – sauber, redlich; finster (Aussichten) – günstig, hell.

 

Nach der Art des logischen Gegensatzes unterscheidet man drei Typen der Antonyme. Kontradiktorische Antonyme verkörpern diametral entgegengesetzte Begriffe, zwischen denen Mittelstufen liegen: Armut – Reichtum, Liebe – Hass, jeder – keiner. Die Negation eines Wortes bedeutet nicht die Behauptung des anderen.

 

Komplementäre Antonyme setzen voraus, dass die Negation eines Wortes zur Behauptung des anderen Lexems führt: männlich – weiblich, Mädchen – Junge, Muttersprache – Fremdsprache.

 

Konträre Antonyme sind zwei Artbegriffe innerhalb eines Bezugssystems. Sie spiegeln eine und dieselbe Situation wider, aber von verschiedenen Standpunkten aus (geben – nehmen, kaufen – verkaufen, reden – schweigen, kommen – gehen).

 

Nach der morphologischen Struktur unterscheidet man gleichwurzlige (treu – untreu, taktvoll – taktlos) und verschiedenwurzlige Antonyme (Wahrheit – Lüge, lustig – traurig).

 

5. Lexikalisch-semantische Paradigmen: Thematische Reihen, lexikalisch-semantische Gruppen, Wortfelder

 

Lexikalisch-semantische Paradigmen sind Mikrosysteme von Wörtern und Sememen, die durch ein gemeinsames Sem vereinigt werden und sich voneinander durch Differenzialseme unterscheiden. Das vereinigende, gemeinsame Sem heißt Archisem, die unterscheidenden Seme heißen Differenzialseme. Die typischen Arten der lexikalisch-semantischen Paradigmen sind thematische Reihen, lexikalisch-semantische Gruppen und Wortfelder.

 

Thematische Reihen sind lexikalische Gruppen nach außersprachlicher, sachlicher Zusammengehörigkeit (alle Wörter, die sich auf den Krieg beziehen).

 

Lexikalisch-semantische Gruppen vereinigen die Wörter, die sowohl außersprachlich, als auch innersprachlich (semantisch) zusammenhängen. Die lexikalisch-semantische Gruppe schließt sowohl Synonyme, als auch Kohyponyme ein, z.B. die lexikalisch-semantische Gruppe "informieren": sagen, sprechen, reden, erzählen, sich unterhalten etc.

 

Das Wortfeld (semantisches Feld) bilden inhaltlich zusammengehörende Wörter. Der genaue Bedeutungsumfang eines Wortes wird durch sein Verhältnis zu den umliegenden Wörtern im Wortfeld bestimmt, die diesen Bedeutungsumfang beeinflussen, begrenzen oder ergänzen. Die Vertreter der Wortfeldtheorie sind Jost Trier und Leo Weisgerber. Das Wortfeld ist ein größeres Paradigma als lexikalisch-semantische Gruppen, es schließt mehrere lexikalisch-semantische Gruppen ein.


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