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Билет 47

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Wir unterscheiden drei Wege der Entstehung von Homo­nymen: den phonetischen, phonetisch-wortbildenden und semantischen.

a) Auf phonetischem Wege entstehen Homonyme infolge der gesetzmässigen Entwicklung der lautlichen Formen von genetisch ganz verschiedenen Wörtern. So fällt das Wort Tau(m) 'flüssiger Niederschlag aus dem Wasserdampf der Luft' aus ahd. tou infolge der Erweiterung des Diphthongs ou > au — mit dem Wort Tau(n) 'Seil' zusammen, das aus dem Niederdeutsch erst in der neu­hochdeutschen Periode aufgenommen wurde. Enkel(m) 'Kindeskind' aus dem mhd. enenkel wird infolge des Ausfalls von en- homonymisch zu dem dialektalen Wort Enkel(m) 'Fussknochen'; Seite(f) aus mhd. stte und Saite (eines Musikinstrumentes) aus mhd. seite wurden zu Homonymen infolge der Diphthongierung des langen i >ei(ai) im ersten Wort und der Erweiterung des Diphthongs ei > ei(ai) im zwei­ten. Dieselbe Erscheinung sehen wir in Weise 'Art' aus mhd, wise und Waise 'elternloses Kind' aus mhd. weise.

b) Der zweite Weg der Entstehung von Homonymen ist der phone­tisch-wortbildende. Die Entstehung von Homonymen auf diese Weise geht sehr selten vor sich. In einigen Fällen sieht man doch, dass verschiedene Wörter infolge nicht nur phonetischer, sondern auch wortbildender Prozesse lautlich zusammenfallen und zu Homonymen werden. Hauptsächlich wirken hier zwei wortbildende Mittel—Ab­leitung und Übergang aus einer grammatischen Wortart in eine andere.

In der modernen deutschen Sprache sind zwei Wörter vorhanden: Leiter(f) 'Vorrichtung zum Hinaufsteigen' und Leite r(m) 'Führer'. Zur Entstehung dieser Homonyme führen sowohl phonetische Veränderungen (Erweiterung des Diphthongs ei > ei(ai) vom mhd. leitet ins nhd. Leiter, Diphthongierung des Vokals l in der Wurzel des mittelhochdeutschen Verbs Liten > nhd. leiten und Erweiterung des entstandenen Diphthongs) als auch wortbildende (Hinzufügung des Suffixes -er zum Verb leiten 'führen').

Auf ähnliche Weise entwickeln sich die Homonyme Messer(n) und Messer(m). Das letztere ist infolge der Ableitung aus dem Verb messen und das Messer ist durch Reduktion des ahd. me33i-rahs entstanden. Das Wort Schauer (m) aus mhd. schür 'Niederschlag von grosser Intensität in Form von Schnee, Regen, Hagel' und Schauer(m) 'Zuschauer' — Ableitung aus dem Verb schauen mit dem Suffix -er.

c) Der dritte Weg der Entstehung von Homonymen ist der se­mantische Weg, auf dem Homonyme infolge der Entwicklung der Mehrdeutigkeit und des Zerfalls der Polysemie eines und desselben Wortes entstehen. Auf diese Art ist eine grosse Anzahl von Homo­nymen entstanden und auch jetzt ist dieser Prozess noch wirksam.

Das Wort Pfeife bedeutete ursprünglich ein einfaches Musikin­strument in Form eines hölzernen oder metallischen Rohres; wegen der Ähnlichkeit der Form wird diese Benennung auch auf eine Vor­richtung zum Rauchen übertragen. Auf diese Weise entstehen zwei Homonyme: Pfeife 'Musikinstrument' und Pfeife 'Tabakspfeife'.

Morgen(m) — die Bezeichnung für die erste Tageshälfte; auf Grund der metonymischen Übertragung bekommt es die Bedeutung 'Feldmass', eigentlich ursprünglich so viel, wie ein Gespann an einem Morgen pflügen kann.

Auf Grund der metonymischen Übertragung der Namensbezeich­nung und des Zerfalls der Polysemie entstehen auch solche Homo­nyme wie Stock 'Stab' und Stock 'Stockwerk'. Die Bedeutung Stock 'Stockwerk' ist folgenderweise entstanden: Stock — ursprünglich 'ein Stab aus Holz', dann auch 'Stange', 'Balken' als Baumaterial, später wurde diese Namensbezeichnung auf die Etagen metonymisch übertragen, die aus Holz gebaut wurden (im Gegensatz zum Erdge­schoss, das man aus Ziegeln oder Stein errichtete). Die metonymische Übertragung der Namensbezeichnung führt auch zum Entstehen solcher Homonyme wie Schloss 'Wohn- oder Verwaltungsbau' und Schloss 'Vorrichtung zum Abschliessen von Türen', die aus dem Verb schliessen entstanden sind. Das Verb pflegen bedeutet 'sorgen', 'besorgen', 'behüten', aber infolge der Erweiterung der grammati­schen Funktion und des syntaktischen Gebrauchs bekommt das Verb auch die Bedeutung 'Gewohnheit etwas zu tun'. Man kann pflegen in beiden Bedeutungen dann als verschiedene Wörter, nämlich als Homonyme, betrachten. Zu den auf dem semantisehen Wege entstan­denen Homonymen gehören auch Schild, Kugel, Flügel, Bank, Fuss, scheinen, lassen u. a. Bei der Entstehung von Homonymen in einer und derselben homonymischen Reihe sind zuweilen verschiedene Prozesse zugleich beteiligt. Das sieht man z. B. in der folgenden Homony-menreihe: Weise 'Art', Weise 'ein weiser Mann', Waise 'elternloses Kind' und Weise 'Melodie'. Die ersten zwei sind aus verschiedenen

Wörtern auf Grund der Wortbildung und der Entwicklung der Form entstanden (siehe S. 230—231), auf ähnliche Weise (Erweiterung des Diphthongs ei > ei(ai) aus dem mhd. weise) entwickelt sich das Wort Waise 'elternloses Kind', endlich entsteht Weise 'Melodie' durch Verengung der Bedeutung und metonymische Übertragung von Weise 'Art', eigentlich 'eine Art Melodie'. Da haben wir es also mit dem Bedeutungswandel und zugleich mit der phonetischen Entwicklung und der Wortbildung zu tun.


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