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Metapher- und Metonymiebildungen seit indogermanischer Zeit

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  1. Indogermanischer Zeit

Bereits in den ersten Sprachstadien ist aus offensichtlichen Gründen die

Existenz von Körperteilbenennungen anzunehmen. Interessant ist dabei zu

untersuchen, ob diese primär (z.B. Zunge, aus idg. *dnghuä >Zunge<; Nagel aus idg.

*ongh-, *nogh->Nagel an Fingern und Zehen, Kralle<; Ferse aus idg. *pe~rsn-

>Ferse<) oder sekundär (z.B. Magen aus idg. *mak- >Haut-, Lederbeutel<) gebildet

wurden. Für den letzteren Fall werden wir der Art der semantischen Übertragung

nachgehen, eine Prozedur, die in der indogermanischen Sprachstufe nicht immer

zuverlässige Ergebnisse liefert.

In diesem Zusammenhang muss man damit rechnen, dass es sich bei manchen

auf den ersten Blick als primär eingestuften Körperteilbezeichungen doch um

deverbati-ve Sekundärtermini handelt. Diese sind in der Regel von einer

Verbalwurzel abgeleitet, die sich auf eine vom betroffenen Körperteil ausgeübte

Funktion bezieht.

Die Schwierigkeit einer Entscheidung für Primär- oder Sekundärbildung sei

anhand des Wortes Finger veranschaulicht. Es ist genauso möglich, dass dieses Wort

als Primärterminus aus idg. *penk'Iro- mit der Bedeutung >einer aus der Gesamtheit

der fünf Finger< stammt, wie dass es sich als Sekundärbildung an die Verbalwurzel

von fangen mit einem Ansatz idg. *penkro- anschließt.

Eindeutig nicht so kompliziert zeigt sich das etymologische Studium von

Körperteillexemen in jüngeren Sprachstufen (Ahd., Mhd.), denn ihr Usus und die

semantischen Vernetzungen mit verwandten Wörtern sind oft belegt.

Die Schaffung von bildlichen Sekundärbildungen wird einerseits durch das

Bestreben in der Rede nach Deutlichkeit und/oder Expressivität und auf der anderen

Seite durch das Gesetz der Sprachökonomie bestimmt, nach dem bereits

existierenden Lexemen im System ein neuer Bedeutungsinhalt zuteil wird.

Wortentwicklungen folgen aber nicht vorhersagbaren Tendenzen, zumal jeder

semantische Wandel in eine ganz verschiedene Richtung hätte verlaufen können.

Die Unprädizierbarkeit der semantischen Entwicklungen sei anhand von Kinn

aus der idg. Wurzel *genu- (>Krümmung, Beugung<) anschaulich gemacht. In der

Hypothese, dass Knie ebenso auf *genu- (vgl. Kluge, 1995, S. 442) zurückgeht, hätte

die Ausgangsbedeutung >Krümmung< aufgrund der gekrümmten Form beider

Körperteile so inhaltsverschiedene Begriffe wie Kinn und Knie ergeben, ohne dass

sich dieser Verlauf auf irgendwelche Weise hätte prognostizieren lassen. Die

Willkürlichkeit semantischer Prozesse ist auch bei Nase festzustellen, wo trotz der

ebenso gekrümmten Form des Körperteils weder die Wurzel *genu- noch eine andere

mit ähnlicher Bedeutung herangezogen wurde. Gegen die Erwartung, dass bei

Ellbogen aufgrund der analogen Achsenfunktion mit dem Knie die Wurzel *genu~

vorkommen sollte, wird das Sem >Krümmung< durch ein anderes Basislexcm,

*bheug(h)- (>krümmen<), realisiert.

Ich bleibe noch bei der Vorstellung >krümmen, biegen<. Die idg. Wurzel

*keub-, *küb- als Labialerweiterung der Wurzel *keu~ (>biegen<, >den Körper, sich

in den Gelenken biegen<, >Wölbung, Höhlung<) hat unprädizierbarerweise fn

verschiedenen Sprachen zu nichtparallclcn Körperteilbezeichnungen geführt, und

zwar im Deutschen zu Hüfte (ahd. huj) und im Lateinischen zu cubitus3

(>Ellenbogen<), beide allerdings mit dem gemeinsamen Merkmal >gebogener

Körperteil<

Diese und ähnliche Beispiele zeugen von den Schwierigkeiten der

diachronischen semantischen Forschung, die sich größtenteils aus der Verkennung

der konkreten Bedeutung von Wörtern in älteren Sprachstufen sowie aus dem

Arbeitsverfahren mit ungenügend erprobten Sprachhypothesen ergeben.

Wie bereits bemerkt, stellt die Bedeutungsvariabilität eine dem Sprachzeichen

wesentliche Eigenschaft dar. Dazu trägt die Tatsache bei, dass die Zahl und

Beschaffenheit der in der Rede zu aktualisierenden Wortseme Situationen von den

kommunikativen Bedürfnissen in jedem Sprechakt abhängt. Als subjektiver Sprecher

tendiert man zur Hervorhebung von bestimmten semantischen Wortmerkmalen und

zugleich zur Zurückdrängung von anderen, so dass»sprachliches Handeln stets

Neuverwenden [ist] und zu Andersverwenden der Wörter führen«kann (Schippan,

1992, S. 252).

In diesem Zusammenhang muss als Grundprinzip der sprachlichen Darstellung

die Verbildlichung betont werden. Auf der Suche nach besonderen kommunikativen

Effekten werden bestimmte Lexeme durch andere ersetzt, die mit jenen in irgendeiner

assoziativen Beziehung stehen. Der Anschauungsgehalt, den viele Wörter bei ihrer

Entstehung aufweisen, geht aber bald verloren, ebenso wie die etymologischen

Zusammenhänge sich verdunkeln. Dieses Verblassen des ursprünglichen figurativen

Gehaltes, der Bildlichkeit der Wörter, ist ein Wesenszug der Sprache, der bei den

Körperteilbezeichnungen in besonderer Weise abzulesen ist. Bei den

Sekundärbildungen wird ein Körperteil in der Regel durch eine metaphorische

Umschreibung oder durch eine Metonymie dargestellt. So zeigt Nase aus germ. *nasö

>Nasenloch< (idg. *nas >Nasenloch<) wie auch seine spanische Entsprechung näriz

aus lat. näris (>Nasenloch<, erweitert zur Nasenhöhle) eine Bedeutungsentfaltung

durch eine Pars-pro-toto-Meto-nymie.

Die räumliche Kontiguitätsmetonymie ist bei der Benennung von

Kleidungsstük-ken besonders verbreitet. Das Wort Kragen (mhd. krage >Hals<,

>Kehle<, >Schlund<, >Nacken<) besitzt heute einen neuen Bedeutungsinhalt als

Kleidungsstück, lebt allerdings in seiner alten Bedeutung in Phraseologismen wie

jnuin. den Kragen kosten oder landschaftlich als >Hals von Geflügel< weiter. Die

Kontiguität von Hals und dem den Hals umschließenden Teil der Kleidung erklärt die

Entstehung dieser Metonymie.

Ich unterscheide bei den Körperteillexemen mehrere Arten von Metaphern, je

nach der Natur des im Vordergrund stehenden semantischen Vergleichsaspekts (tertium

comparationis):

(1) Durch die Formähnlichkeit mit einem Objekt bedingte Metaphern.

Besonders der Kopf inspiriert alternative Bezeichnungen, die auf Gefäßnamen

zurückgehen:

- Haupt stammt aus germ. *haubipa- >Schale, Haupt<, einer Nominalbildung

zur idg. Wurzel *kap- (>fassen< > heben, haben), die mehrfach in Wörtern für

Gefäße erscheint.

Hier kommt die gleiche semantische Übertragung zustande wie beim Lehnwort

Kopf aus lat. cuppa (>Becher<). Die heutige Bedeutung von Kopf entwickelt sich in

mhd. Zeit über >Gefäß, Schalenförmiges< zu >Hirnschale< und >Haupt<.

Eine ähnliche Entwicklung erfährt Schädel (idg. *skitlo-), dessen ursprüngliche

Bedeutung >Gefäß, Schalenförmiges< sein konnte, die später in die Bedeutung

>Hirn-schale, abgetrennte Schädeldecke (bei Schlachttieren)< überging. Franz. tete

und ital. testa zeigen den gleichen Vorgang aus lat. testa >Gefäß<.

Ebenso deuten lat. cranium und griech. kranion >Schädel, Hirnschale< auf ein

ähnliches Metaphernbild, indem ihre alte Wurzel eigentlich >Helm< bedeutete, da die

Schädelknochen das Gehirn wie ein fester Helm umschließen.

Die auf Formähnlichkeit beruhenden Metaphern entstehen oft volkstümlich

durch Witze, wie das bei den zahlreichen spöttischen Bezeichnungen für Kopf aus

dem Bereich der Pflanzenwelt (insbesondere Gemüse- und Obstsorten - Birne, Rübe,

Kürbis u.a.) der Fall ist. Durch diese Bezeichnungen wird auf das Fehlen

intellektueller Fähigkeilen einer Person angespielt.

Ähnliche spöttische Benennungen finden sich im Übermaß bei Körperteilen

des Sexualbereiches (vgl. Borneman. 1984). insbesondere für Penis, was Andre

(1991, S. 171) für das Lateinische so erklärt:

»La metaphore est un procede uuel et frequent dans toulcs les langues pour

designer le penis. Sa richesse et son emploi dependent du niveau social, du degre" de

eulture et de l'ima-gination creatrice des sujets parlants. Dune fac.on generale, clles

sont fondees sur la notion d'objet pointu, c'est-ä-dire sur la representation du phallus

en erection, par comparaison avec differents domaines de la nature. vegetal (baguette,

bäton), animal (queue) ou de la civilisa-tion (outils, armes).«

Andre konstatiert für >Penis< anatomische Metaphern (lat. nervus >Nerv<;

vgl. dt. Nase in der Wendung die Suse hoch tragen >eine Erektion haben<: s.

Borneman, 1984), tierische Metaphern (in erster Linie Vogclnamcn: lat. turtus

>Turteltaube<; vgl. dt. Spatz), pflanzliche Metaphern (lat. caulis >Kohl<; vgl. dt.

Gurke) und auf spitze Objekte bezogene Metaphern (lat. clävus >Nagel<; vgl. dt.

Pinsel).

Weitere Metaphern für Körperteile, die durch Formähnlichkeit mit einem

Objekt entstanden, sind: Lid aus dem ahd. {h)lit >Deckel<; Magen aus dem idg.

*mak- >Haut-, Lederbeutel<.

(2) Durch die Funktion des Körperteils bedingte Metaphern5: In dieser Gruppe

ist die Frequenz von Körperteilbezeichungen mit dem ursprünglichen Merkmal

»Esser«augenfällig.

- Backe aus idg. *bhag- (>zutcilen, als Anteil bestimmen, erhalten< >

>Essen);

- Mund aus idg. *menth-/*mnth- (>Kauer, Beißen);

- Zahn aus idg. *dont- / *dnt- (>Beißender, Essenden) < *ed- (>essen<),

- Kiefer aus idg. *geb(h)~ (>essen, fressen<, >Essen, >Kiefer, Mund<);

- Braue aus ahd. bräwa (>Augenlid, Wimpernreihe, Augenbraue<), zu idg.

*bhrek-(>glänzen, funkeln<), so dass eine ursprüngliche Bedeutung >das sich rasch

Bewegen-de< anzunehmen ist;

- Hals aus idg. *k'Jel(z) (>sich drehcn<, >Dreher<); eine verwandfe

Benennung mit dem Sem >sich drehcn< ist griech. kyklos (>Kreis<, >Auge<).

(3) Durch die Hervorhebung eines äußeren Merkmals bedingte Metaphern:

- Lippe aus idg. *leb- (>schlaff herabhängen[d]<);

- Nacken aus idg. *knog-, Gutturalerweiterung der Wurzel *ken~

>zusammendrük-ken, Zusammengedrücktes, Geballtes<, dementsprechend wäre

Nacken ursprünglich als >etwas Zusammengeballtes, eine Erhöhung< zu verstehen;

- Wange aus idg. *ue(n)kö- zu *ije(n)k- >biegen<, mit der

Ausgangsbedeutung >das Gebogene, Gekrümmtes >die gewölbte Gesichtsseite unter

dem Auge<;

- Niere aus idg. *neg'shr6s (>runde Anschwellung<, >Niere, Hoden<), ahd.

nioro >Niere, Hoden<; die idg. Ausgangsbedeutung >runde Anschwellung< führt in

germ. Zeit zur Benennung zweier unterschiedlicher Körperteile: >Niere< und

>Hoden<; der semantische Vorgang der Polysemie infolge der äußeren Ähnlichkeit

der Denotate erscheint ebenso im Lateinischen, vgl. caverna (>Höhle<) für >Ohr<

und >After<; folli-culus (>Säckchen<) für >Zäpfchen<, >Lunge<, >Blase<,

>Bläschen< und >Hodensack<; tu-nica (>Übergewand<, >Umhüllung<) für >Auge<,

>Hoden< und >Gebärmutter< (vgl. Andrej 1991, S. 253); das polyseme Phänomen

kommt auch in gewissen italienischen Dialekten vor, wo beispielsweise pianta (aus

lal. planta >Fußsohle<) auch für >Hand-fläche< (statt der eigentlichen

Bezeichung/w/wa) aufgrund des gemeinsamen äußeren Merkmals >Fläche< stehen

kann (vgl. Zauner, 1903rS. 446);

- Darm aus idg. *ter(3)~ (>reiben, durchbohren*), mit der ursprünglichen

Bedeutung >Loch< wurde anfangs nur auf den Ausgang des Darmes bezogen;

- Herz aus idg. *kerd- (>Herz<); diese Wurzel schließt sich im Sinne von

>Springer, Hüpfen an die verbale Form *(s)ker(d)- >(hcrum)springen< an.

(4) Durch die Stelle des Körperteils bedingte Metaphern:

- Hirn aus idg. *ker(o)- (>das Oberste am Körper, Kopf, Horn<);

- After ist eine Substantivierung des Komparativs ahd. aftero (>hinter,

nachstehend, nachfolgend< aus idg. *apo und *-tero-), eigentlich aus aftero teil (8.

Jh.: >Hin-terteil<);

- Hintern (>Gesäß<) gilt als Substantivierung des Adjektivs hinter (ahd.

hintaro) mit der ursprünglichen Bedeutung >hinleres Ende, Sch\vanz<;

- Gesäß aus ahd. gisäy (>Sitz, Wohnsitz, Niederlassung^; im Sinne von >Ort,

wo man sitzt< wird der Ausdruck schon mhd. auf den >Körperteil, auf dem man

sitzt< übertragen.

Manchmal beruht das Körperteillexem auf einer abstrakteren Metapher:

- Schlafe kommt aus dem Plural von Schlaf, so dass man von der Bedeutung

Stirnseite, auf der der Schlafende ruht< ausgehen kann; dasselbe Bild kommt in

einigen italienischen Dialekten vor, in denen >Schläfe< folgende Formen aus dem

lat. somnus (>Schlaf<) einnimmt: sonnu (Sizilien), suonno (Neapel), sonno

(Venedig) u.a. (Zauner, 1903, S. 417);

- Ballen kommt aus Ball (>runder Körpcn) in den Zusammensetzungen Hand-,

Fußballen. Die zugrunde liegende Wurzel ist idg. *bhel- (>aufblasen<), die lat. follis

(>Schlauch<, >BeuteI<, >Blase<) und griech. phallös (>männliches Glied<)

gemeinsam ist. - Bemerkenswert ist die Bedeutungsentwicklung bei ital. falle, franz.

fou: blasenartig leerer Kopf< > >verrückt<. Die deutschen Wörter Ballen und Blase,

das lateinische follis und das griechische phallös teilen trotz ihrer unterschiedlichen

Bedeutung dasselbe Sem aufgeblasener, aufgeschwollener Körpen aufgrund ihrer

gemeinsamen idg. Wurzel *bhel-.

Die Metonymie als Übertragungsprozess, der auf einem»tatsächlichen

Zusammenhang räumlicher, zeitlicher oder ursächlicher Art zwischen den beiden

durch dasselbe Wort bezeichneten Dingen oder Erscheinungen«beruht (Schmidt,

1985, S. 220), erweist sich als ein längst nicht so produktives Bildungsmittel von

Körperteilbezeichnungen wie die Metapher:

(1) Durch räumliche Kontiguität bedingte Metonymien:

- Kreuz steht nhd. häufig für >Rücken< (vgl. sich aufs Kratz legen), obwohl es

sich ursprünglich (vgl. Kreuzbein, 17. Jh.) auf den unteren Teil des Rückgrates

bezieht;

- die heutige Bedeutung von Schoß >Mitte des Leibes< (ahd. scö^a, mhd.

schö$ >Kleiderschoß, Rockschoß<) ist durch eine Kontiguitätsmetonymie

entstanden.

Die Körperteil- und Kleidungsstückwörter einbeziehenden

Melonymievorgänge verlaufen in der Regel allerdings nicht wie bei Schoß in der

Richtung >Kleidungs-stück-< -* >Körperteilbezeichnung<, sondern umgekehrt.

Folgende Beispiele bestätigen diese Tendenz:

- Mieder (ahd. muodar; mhd. muoder. müeder >zuersl Bauch, (Mutter-)Leib,

dann die Brust umschließendes Kleidungsstück für Männer und Frauen<);

- Ärmel (ahd. armilo, zu arm); nach Schmidt (1985, S. 221) liegt der

Bezeichnung armil'o ein verdunkeltes Diminutiv zu Ann zugrunde (»Die

Verkleinerungsformen drücken hier offenbar die äußerliche Nachahmung,

Stellvertretung aus«), während für Pfeifer (1995, S. 60) von der durch das

Zugehörigkeitssuffix -Ho- bestimmten Bedeutung >was zum Arm gehört, am Ann

getragen wird< ausgegangen werden muss.

Weitere metonymische Kleidungsstückslexeme sind Beinling (zu Bein),

Däumling (zu Daumen), Fäustling (zu Faust), Leibchen (zu Leib). In all diesen Fällen

wird die Körperteilbezeichnung auf das den betreffenden Körperteil bedeckende

Kleidungsstück übertragen.

(2) Durch pars pro toto-Ersatz bedingte Metonymien:

- Dem Wort Bein >Ober- und Unterschenkel unterliegt eine metonymische

Entwicklung von der ursprünglichen Bedeutung >Knochcn< ausgehend (vgl. Nase)

11.2 Der Menschenkörper als Bildgeber und Bildempfänger

11.2.1 Anthropomorphische Metaphern

Körperteilbezeichnungen zeigen eine Tendenz zur Bildung von

metaphorischen Sekundärbedeutungen, die sich auf mit Körperteilen Ähnlichkeit

aufweisende Objekte oder Erscheinungen beziehen. Das Studium dieser

Übertragungsart hat das Interesse von einigen Sprachwissenschaftlern wie Ullmann

geweckt. Die sogenannte»anthro-pomorphic metaphor«(Ulimann, 1966, S. 241)

bietet augenfällige Parallelismen in verschiedenartigen Sprachen, was diesen Autor

zu ihrer Betrachtung als»semantic universal«geführt hat:

eng. the neck of a bottle; the eye of a needle; the lungs of a town; aber auch:

the blow of a hill; the heart of the matter; the sinews of a war, the mouth of a river,

etc.

dt. Hals (der Flasche); Kopf (des Nagels); Lungen (der Stadt); aber auch:

Schenkel (des Dreiecks), Arm (des Hebels), Kopf (des Briefes), etc.

Nach Sperbers Terminologie stehen wir bei solchen Übertragungsfällen vor

Expansionsvorgängen aufgrund emotionaler Ladung. In seiner psycholinguistischen

Theorie betont Sperber die Rolle von Nebensinn und Gefühlswert als Ursache des

Bedeutungswandels.9 Diese These erkläre die häufige Erscheinung von

anthropomorphischen Metaphern im Sprachsystem, insofern als sich der Mensch

seines eigenen Körpers als Bildgeber schon immer bedient hat, um seine Umgebung

zu kennzeichnen. Ullmann (1970, S. 242) bezieht sich auf dieses Phänomen auch mit

der Bezeichnung Anthropomorphismus (ebenso Fritz, 1974, S. 24); Schmidt (1985, S.

216) benutzt dafür Personifizierung und führt in dieser Hinsicht aus (S. 217):

»So hat die Brücke einen Kopf, die Flasche einen Hals, der Hebel Arme, der

Krug einen Bauch, der Zirkel Schenkel, das Ofenrohr ein Knie, der Tisch Beine, der

Berg einen Fuß, einen Rücken und eine Nase, der Schuh eine Zunge, der Spielwürfel

Augen, der Schlüssel einen Bart.«

Einer der ersten, der sich mit dieser produktiven Art von anthropomorphischen

Metaphern beschäftigte, war der italienische Philosoph Giambattista Vico. In seinem

Scienza Nuova weist er darauf hin, dass der»unwissende«Mensch sich durch die

Schaffung solcher Metaphern in den Mittelpunkt des Universums stellt. Besonders

der primitive, aber auch der moderne Mensch beurteilt seine Umwelt zunächst nach

seinem eigenen Ich, so dass die Sprache dadurch einen deutlichen

anthropomorphischen Charakter gewinnt. Nase wird beispielsweise laut des

semantischen Merkmals >bei Menschen als Gesichtsvorsprung ausgebildet< auf den

Bug eines Schiffes, Flugzeugs, auf den vorderen Teil eines Autos übertragen. Parallel

zur fortschreitenden Mechanisierung unserer Umwelt müssen ständig neue

Gegenstände benannt werden, wobei metaphorisch gebrauchte

Körperteilbezeichnungen bei Wagenmotorteilen (Gelenkwelle, Zylinderkopf

Zahnkette, das Gerippe des Fahrwerks u.a.) häufig zu beobachten sind. Das ist

allerdings kein neues Sprachphänomen. Bereits in der griechischen Antike wurden

Körperteilnamen auf produktive Weise für Schiffsleile verwendet, und die Römer

griffen auf Körperteillexeme zurück, um Naturerscheinungen wiederzugeben (z.B.

fauces >Schlund, Kehle< > >Schlucht, Engpass<; bracchium >Arm< > >Ast eines

Baumes<, >Arm des Gebirges, des Meeres<; dorsum >Rücken der Tiere< > dorsum

montis >Bergrücken<) (vgl. Struck, 1954, S. 37-40).

In Abhängigkeit von ihrer Beziehung auf den Menschen- oder Tierkörper

zeigen die auf Körperteilen basierenden metaphorischen Bezeichnungen folgende

Typologie:

- Die»Anthropomorphismen«sind bildlich gebrauchte Bezeichnungen aus der

Sphäre des menschlichen Körpers, z.B. Backe in der übertragenen Bedeutung

herstellbarer Seitenteil, bewegliche Seitenflächen

- Die»Zoomorphismen«sind bildlich gebrauchte Körperteilbezeichnungen

aus der Tierwelt, z.B. Schnabel10 in der metaphorischen Bedeutung

>Schiffsschnabel<.

- Die»Somatonymen«(vgl. Hums, 1988, S. 37) sind bildlich gebrauchte

Bezeichnungen, die sich sowohl der Menschen- wie auch der Tieranatomie

zuschreiben lassen, z.B. Kopf in der Bedeutung >eßbarer, rundlicher Teil bestimmter

Gemüse- u. Salatpflanzen, der etwa die Größe eines.Menschenkopfes hat<.

11.2.2 Bildspeiuler zur Bildung von Körperteilbezeichnungen

Sind die Körpcrteilbczcichungen (Somalonymcn) in der Regel diejenigen, die

metaphorische Bedeutungen annehmen, so beobachtet man dennoch umgekehrt

Objekte bezeichnende Substantive, die zum Ausdruck von Körperteilen verwendet

werden: Adamsapfel, Augapfel, Becken (aus spätlat. baednum >Wasserbecken<n),

Brustkorb, Ellenbogen, Speiseröhre, Röhrenknochen.

Es kann ebenso ein Tiername (z.B. lat. müs >Maus<) derjenige sein, der ein

Somatonym (lat. müsculus >Mäuschen< > dt. Muskel) entstehen lässt.

Das Faktum, dass der Menschenkörper häufiger als Bildspender herangezogen

wird, als umgekehrt Objektbezeichungen zu Somatonymen führen, wird von Sperber

aufgedeckt:»our body is a cenler of both metaphorical expansion and attraction, but

it acts more powerfully in the former than in the latter capacity«(zitiert nach

Ulimann, 1966, S. 242; vgl. Hums, 1988, S. 35-37, und Schippan, 1992, S. 164).

Diese Erkenntnis wird in gleicher Weise von de Witte (1948, S. 242) bestätigt, wenn

er bei seiner ausführlichen Untersuchung von Körperteilbezeichnungen in den

europäischen Sprachen eine größere Zahl an anthropomorphischen Metaphern aus der

Sphäre des menschlichen Körpers konstatiert.

Ein oft festzustellendes Verfahren seit indogermanischer Zeit ist die

Übertragung von Tierkörperteilbezeichnungen auf den Menschen (vgl. Maul mit

Erweiterung der Anwendung auf den menschlichen Mund seit dem Mhd.). Die

Beobachtung von Tierorganen als Mittel zur Benennung von Menschenkörperteilen

ist in jeder Kultur zu machen. Eine dadurch geschaffene Bezeichnung stimmt in ihrer

Etymologie allerdings nicht immer mit der anatomischen Beschaffenheit des

menschlichen Körpers überein. Das wird beim lat. Namen (intestinum) rectum

(>Mastdarm<, eigentlich >der Gerade<) konstatiert, der trotz abweichender

Verhältnisse auf den Menschen übertragen wurde.

Folgende Beispiele zeugen von der Tendenz, dass Tierkörperteilnamen zu

Men-schenkörperteilnamen werden:

- Schwanz (belegt seit dem 13. Jh. swanz), ursprünglich >der (Hin-und-her-

)Be-wegliche, der Schwankende< bezeichnete anfangs nur den Tierkörperteil und

ging spätmhd. in die Bedeutung >Penis< über.

- Das Wort Lunge, aus idg. *lngh- (>leicht in Bewegung und Gewicht< >

germ. >die Leichte, die als Organ von Schlachttieren nach dem Schlachten im Wasser

oben schwimmt<), basiert auf einem äußeren Merkmal, das zuerst bei Tieren

festgestellt wurde. Ein analoger Vorgang ist ebenso in den Bezeichnungen für

>Lunge< in den klassischen (lat. pulniö, griech. pleümön < idg. *pleu-

>schwemmen<) und in den romanischen Sprachen anzutreffen. Hierzu Zauner (1903,

S. 491):

»Da die menschliche Lunge dem Volke naturgemäß selten zu Gesichte kommt,

so sind alle neuen Namen ursprünglich auf die tierische Lunge angewandt worden:

daß die Lunge der Schlachttiere in erster Linie gemeint war, ist von vornherein

anzunehmen.«

Die bei Tierlungen beobachtete Eigenschaft >leicht< inspirierte in einigen

romanischen Gebieten alternative Benennungen für >Lunge<, die vom

standardsprachlichen pulmö abweichen. Der lat. Terminus leve (>leicht<) für

>Menschenlunge< ist unter regionaler Formvariation in Südfrankreich, Katalonien,

Spanien, Portugal, Oberitalien, Rätien und Sardinien weit verbreitet.

Ein besonders produktives Bild bei den Körperteilbezeichnungen seit ältester

Zeit ist sowohl als Bildgeber wie auch als Bildempfänger das des Rades. Als

Bildgeber haben verschiedene Teile des Rades oder das Rad selbst einige

Knochennamen ver-anlasst:

- Speiche: die Übertragung von Speiche (>von der Nabe zur Felge reichende

Strebe im Rad<) auf den vorderen Unterarmknochen erfolgt im 18. Jh. nach

lateinischem Vorbild (vgl. radius >Radspeiche, Armspeiche<). Es handelt sich

demzufolge um eine Lehnbedeutung.

- Kniescheibe (>scheibenartiger Knochen an der Vorderseite des

Kniegelenks<), ahd. kniosklba (zu ahd. sklba >Scheibe, Rolle, Walze<, mhd. schlbe

>Kugel, Kreis, Rad, Walze<). Hier scheint kein klares Entlehnungsverhältnis mit lat.

patella >Schale, Opferschale< (Diminutivform zu patera >flache Schale<; pateö

>offen stehen<) vorzuliegen, wenngleich das zugrunde liegende Bild ähnlich ist (vgl.

die spanische Bezeichnung für >Kniescheibe< rötula mit der ursprünglichen

Bedeutung >kleines Rad, kleine rollende Scheibe<).

Durch einen umgekehrten Prozeß haben Körperteilbezeichnungen

Radteilnamen veranlasst:

- Nabe aus idg. *näbh- mit der Grundbedeutung >Nabel< wurde noch in idg.

Zeit auf >Radnabe< übertragen. Nabel (ahd. nabulo) beruht also auf idg. *nabh- und

einem /-inhaltigen Suffix.

- Achse aus idg. *aks-, (< *ags- > Achsel, Drehpunkt der beweglichen Arme<)

wurde noch in idg. Zeit auf >Drehpunkt der Räder< übertragen. Achsel (ahd. ahsla)

beruht also auf idg. *aks- und einem /-inhaltigen Suffix.

Zwischen Nabel/Nabe und Achsel/Achse besteht eine parallele

morphosemantische Beziehung.

11.3 Entlehnung als Bildungsmittel von Körperteilbezeichnungen

Was die Neuschaffung von spezifischen Fachkörperteilbezeichnungen (z.B.

Knochen-, Muskel- und Arteriennamen) anbelangt, verfügt die deutsche Sprache

nach wie vor über die Möglichkeit der Entlehnung von griechischen und lateinischen

Fachtermini. Diese sind ihrerseits im Laufe der medizinischen Forschung größtenteils

sekundär und bildlich in Anlehnung an Bezeichnungen von außersprachlichen

Alltagsobjekten gebildet worden. Das Deutsche hat diese Bezeichnungen zumeist als

Lehnübersetzungen und -Übertragungen übernommen. Bei moderneren

Bezeichnungen liegen manchmal Fremdwörter vor, z.B. Meniskus.

Knochennamen spiegeln Lehnbeziehungen zwischen den klassischen Sprachen

und dem Deutschen vorbildlich wider.

Folgende Lehnübersetzungen aus dem Lateinischen entstanden aus einer

Metapher, die auf der Formähnlichkeit des jeweiligen Knochens mit einem Objekt

beruht:

- Kühnbein (lat. os naviculare zu lat. navicula, Diminutivform zu navis

>Schiff<);

- Keilhein (lat. os euneiforme zu lat. aineus >Keil< und lat. forma >Form<);

- Würfelbein (lat. os cuboideum zu lat. cubus und griech. eides >ähnlich<);

- Jochbein (lat. os zygomaticum, zu griech. zygön >Joch<);

- Schlüsselbein ist eine Lehnübersetzung aus lat. clävlcula (>kleiner Schlüssele

Diminutivform zu clävis), das auf griech. klels zurückgeht,»da griechische Ärzte die

Bezeichnung für einen S-förmigen Schlüssel zum Öffnen von Schlössern mit

Fallriegeln auf die Form des Knochens» übertrugen (Pfeifer, 1995, S. 1218).

- Schulterblatt (>blattartiger Rückenknochen<; ahd. scultira). Die mhd.

Zusammenbildung schulterblat entspricht nicht lat. scapula, sondern griech. ömopläte

(zu ömos >Schulter< und pläte >Ruderblatt<).

Nicht allen Knochennamen liegen fremde Vorbilder zugrunde. Schienbein

(ahd. skina >Schienbein<, mhd. schin[e] >Schienbein<, >Röhre<, >Streifen<), aus

germ. *skinö (>schmales Stück Holz, Span, schmaler, spanähnlicher Knochens zu

idg. *skei-(>schneiden, trennen, scheiden<) ist eine autochthone Bildung.

Schienbein zeigt eine Kreisbewegung in seinem Bedeutungswandel, denn

>Leiste aus Holz< ist die Ausgangsbedeutung und eines der jetzigen Sememe von

Schiene: germ. *sklnö >schmales Stück Holz< > >Knochen< (wegen seiner schmalen

Form) -> ahd. >Knochen< -> mhd. >Knochen< > >Röhre, Streifen< (wegen seiner

knochenähnlichen Form) ~* nhd. Schiene >Leiste aus Metall, Holz<, >Stahlleiste als

Fahrspun.

Manchmal wurden in der Medizingeschichte Fachtermini untreffend übersetzt,

da die Heilkundigen nicht immer über eine optimale klassische Sprachbildung

verfügten. So wurde der lateinisierte Hellenismus pericardium >Herzbeutel<

(buchstäblich >um das Herz<) falsch als precordium (>vor dem Herz<) aufgefasst,

was die irrtümliche Lehnbildung vorhertz hervorbrachte (vgl. Habermann, 1996, S.

23).

Im Fall von Kreuzbein handelt es sich nicht um eine genaue Glied-für-GliedÜber-

setzung (oder Lehnübersetzung), sondern um eine Lehnübertragung aus lat. os

sa-crum (>heiliger Knochen<). Für Ferner/Staubesand (1982, S. 378) bleibt unklar,

warum das Lateinische die griechische Bezeichnung hierön osteön (>der gewaltige

große Knöchern) als sacrum >heilig< wiedergibt, denn os sacrum habe mit dem

Symbol des Christentums nichts zu tun. Die Bedeutung von griech. hierön in dieser

Wendung scheint aber nicht >gewaltig, groß< zu sein, sondern >heilig< (vgl. Andre,

1991, S. 198). Unter dieser Voraussetzung entspräche lat. os sacrum in der Semantik

vollkommen dem griech. Terminus hierön osteön. Die Erklärung, warum das

Kreuzbein in der griechischen Antike ein >heiliger Knochen< war, muss man in der

mythologischen Tradition suchen. Andre (1991, S. 199) schreibt:

»Comme, dune (acon g£ndrale, hierös et sacer expriment cc qui appartient aux

dieux, Isi-dorc l'explique par lc fait que c'cst le premicr os du ftttus et par suilc le

premier offert aux dieux dans les sacrifiecs [...]. II est de fait que cellc partie du corps

des viclimcs figurait parrai les offrandes aux dieux citdes par Arnobe [...].«

Die alte deutsche Bezeichnung für Kreuzbein ist mhd. erhabenheit, weil man

am Ende des Pferderückens zwischen den beiden Hüften eine Wölbung sah.

Durch einige Lehnzusammensetzungen finden dialektale Bestandteile Eingang

in die Standardsprache. Bei der Lehnübertragung Zwerchfell (16. Jh.) ist das erste

Korh-positionsglied zwer als Präposition nur auf das oberdeutsche Gebiet beschränkt,

während das standardsprachliche quer aus Mitteldeutschland stämmig ist. Zwerchfell

ist eine Lehnübertragung aus lat. diaphragma (>Scheidewand, Grenzwand,

Zwerchfells zu griech. diaphrässein >durch eine Scheidewand trennen<, phrässein

>abtrennen<).

In der deutschen Gegenwartssprache besteht bei spezifischeren

Körperteilbezeichnungen eine Reihe von Dubletten als Ergebnis einerseits einer

Lehnübersetzung/ -bedeutung, andererseits infolge der Beibehaltung des Fremd-

/Lehnwortes (z.B. Sphinkter neben Schließmuskel', Iris neben Regenbogenhaut;

Vagina neben Scheide u.a.). Es kann aber auch vorkommen, dass sich die

Germanisierung durch Lehnübersetzung nicht durchsetzt; so gelang es der frühnhd.

Lehnübersetzung kindlin im aug aus lat. püpilla nicht, sich neben Pupille zu

behaupten.

Bei Lehnbedeutungen springt die Anlehnung lateinischer Begriffe an die

Pflanzenwelt ins Auge. Dem lateinischen Modell folgend übernehmen insbesondere

ab dem 16. Jh. deutsche Pflanzenteil- und Fruchtnamen die fremde Bedeutung eines

Körperteils aufgrund ihrer äußeren Ähnlichkeit mit diesem:

- Zäpfchen (zu Zupfen) erscheint in der Form Gaumenzäpfchen in

Anknüpfung an lat. uvula (ursprünglich >kleine Traube<), da das mit mhd. zapfe

verwandte mhd. Wort zepfe die Bedeutung >Traube< aufweist;

- Eichel (>Vorderteil des Penis<) zeigt die übertragene Bedeutung von lat.

glans (ursprünglich >Eichel<) aufgrund der eichelähnlichen Form des Körperteils;

- Rinde übernimmt die Bedeutung >äußere Schicht bestimmter Organe, z.B.

des Hirns, der Niere< vom lat. cortex (ursprünglich >Borke<).

Außer Lehnübersetzungen, -Übertragungen und -bedeutungen weist das

Deutsche Lehnwörter aus dem Lateinischen und Griechischen auf, etwa Körper (13.

Jh., aus lat. corpus) und Skelett (16. Jh., aus lat. scelctum >Knochengcrippe< <

griech. skeletös ausgetrockneter Körper, Mumie<, zu griech. skellesthai

>vertrocknen, verdorrem). Bei gewissen lateinischen Lehnwörtern ist die

Vermittlungssprache das Französische; bei Buckel (>höckerartiger Rücken, RückeiK

< mhd. buckel >MetallbeschIag in Form einer Halbkugel in der Mitte des Schildes<,

aus dem allfranz. bo(u)cle < lat. buecula >Bäckchen<, >Schildknauf<) erfolgt die

Bedeutungsübertragung >Metallbeschlag< > >Rücken< erst im Deutschen (15. Jh.).

Fremdwörter kommen bei deutschen Körperteilbezeichnungen relativ selten

vor. Ein Beispiel aus dem 19. Jh. ist Meniskus (>halbmondförmiger Zwischenknorpel

im Kniegelenk<), eine Lateinisierung von griech. meniskos >Mondsichcl< {ine

>Mond<), deren Etymologie auf die Ähnlichkeit des Körperteils mit einem

Halbmond zurückgeht.

Abschließend seien die Entlehnungsarten und ihre semantischen

Motivationsprozesse bei den deutschen Körpcrteilnamen anhand der Bestandteile des

Auges veranschaulicht.

- Bei der Lehnübersetzung Hornhaut (mittcllnt. [nwnhräna] cornea) wird ein

Vergleich mit durchsichtiger Hornsubstanz gezogen, weil nach dem Tode die

Hornhaut einem dünnen Hornplättchen gleicht (vgl. Drosdowski, 1989, S. 736).

- Regenbogenhaut ist eine Lehnbedeutung zu griech. fris >Regenbogen< (zu

Iris, Tochter des Thaumas, Göttin des Regenbogens) wegen der Farbschattierungen

des Organs.

- Die aus dem lat. lens entlehnte Bedeutung >geschliffenes, in der Form dem

Linsensamen ähnliches Glas< (18. Jh.) ist bei Linse Ausgangspunkt zur Bildung eines

weiteren Semems >glasklarer Teil des Auges<, wohl in Anlehnung an lat.

cristalloides tunica, zu griech. krystallos >Glas<.

- Bei der Lehnbedeutung von Netzhaut (mittellat. retina\ retinus: >netzartig<)

steht die netzartige Organform im Hintergrund, denn die Nervenhaut des Auges

umfasst den Glaskörper wie ein Fischernetz den Fang (vgl. Ferner/Staubesand, 1982,

S. 378).

- Das Lehnwort Pupille (lat. püpilla < >kleine Puppe<, >kleines Mädchen<)

wurde im 18. Jh. aus dem Lateinischen entlehnt und verdrängte das autochthone

Sehe. Die lateinische Bildung folgt dem griech. Vorbild köre (>Mädchen, Puppe,

Pupille, Aug-apfel<) wegen des verkleinerten Spiegelbildes, das man im Auge eines

anderen sieht.

Die Tatsache, dass das Mädchen-Bild (selten ein Jungen-Bild) der

Bezeichnung der Pupille in mehr als 30 Sprachen verschiedenster Struktur, bei denen

die Möglichkeit der Entlehnung abzuweisen ist, zugrunde liegt, bildet für manche

Sprachwissenschaftler (Tagliavini, 1949; Ullmann, 1966) einen klaren Beweis für die

Gültigkeit der semantischen Universalien und für den allgemeinen Verlauf des

kognitiven Denkens des Menschen bei der Schaffung von Metaphern.


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